Die Medica von Bologna / Roman
und zu verbluten drohte. Was hättet Ihr an meiner Stelle gemacht, Hochwürden? Wäret Ihr einfach weitergegangen? Wäret Ihr kein barmherziger Samariter gewesen? Ich jedenfalls bin nicht weitergegangen, denn ich denke einfach und menschlich, und ich halte es mit Dante Alighieri, der da sagte:
Wer eine Not erblickt und wartet, bis er um Hilfe gebeten wird, ist ebenso schlecht, als ob er sie verweigert hätte.
«
»Ich gebe zu, dass Ihr mir geholfen habt.«
»Ich habe Euch das Leben gerettet! Wenn ich nicht gewesen wäre, würdet Ihr nicht hier stehen. Und das Einzige, was Euch dazu einfällt, ist, einzuräumen, ich hätte Euch geholfen?«
»Nun gut, wenn Ihr es unbedingt hören wollt: Ihr tatet ein gottgefälliges Werk, indem Ihr mich, Seinen Diener auf Erden, behandelt habt. Doch gleichzeitig habt Ihr Euch gegen Ihn versündigt, weil Ihr einen Dienst tatet, der Chirurgen oder Medici vorbehalten ist. Betet zu Ihm, er möge das Für und Wider bei seinem Ratschluss erwägen, auf dass er Euch nicht allzu hart strafe.«
»Wie bitte? Meint Ihr das wirklich im Ernst?« Ich konnte nicht glauben, was ich da eben gehört hatte.
»Betet«, sagte Helvetico nur. Dann schlug er flüchtig das Kreuz und schritt zur Tür hinaus.
Nach diesem Vorfall brauchte ich mehrere Tage, um mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, eine Zeit, in der ich viel an meinen väterlichen Freund, den tapferen, selbstlosen Maurizio, denken musste. Gegen das, was ich mit Helvetico erlebt hatte, kam mir die schwere Zeit im pestverseuchten Venedig harmonisch und schön vor.
Doch zum Glück war da Latif. Er wich kaum von meiner Seite und bemühte sich immer wieder, mich mit seiner fröhlichen, zuversichtlichen Art aufzuheitern.
Dennoch ereignete sich kurz darauf etwas, das mein Gemüt abermals belastete.
Ein Buch fiel mir in die Hände, ein Werk des gnadenlosen Hexenjägers Girolamo Menghi, das kurz zuvor von dem Buchhändler und Drucker Giovanni Rossi herausgebracht worden war. Es war in Italienisch verfasst und trug den Titel:
Compendio dell’ arte essorcistica, et possibilita delle mirabili, & stupende operationali delli demoni, e dei malefici. Con li remedij opportuni alle infirmata malefici.
Die Lektüre dieses Kompendiums über die Kunst des Exorzismus versetzte mich erneut in Schrecken. Und als wäre meine Verfassung nicht schon schlimm genug gewesen, eröffnete mir Latif ein paar Tage später, er hätte das Gefühl, unser Haus stünde unter Beobachtung. Ich wollte es zunächst nicht glauben, doch es stimmte: Zwei unbekannte Männer strichen mehr oder weniger auffällig darum herum, verschwanden mitunter auch für einige Stunden, tauchten aber mit großer Hartnäckigkeit immer wieder auf.
Von Beginn an stand für mich fest, dass ich ihre Anwesenheit niemand anderem als dem abscheulichen Helvetico zu verdanken hatte. Tage und Nächte verbrachte ich in höchster Angst, traute mich nicht ans Fenster, wähnte mich schon verhaftet, verhört und auf dem Scheiterhaufen stehen, und wenn Latif nicht gewesen wäre, hätte ich in dieser Zeit wohl den Verstand verloren.
»Herrin«, sagte er, »nach allem, was Ihr mir über den Mann mit der hässlichen Seele erzählt habt, hat er ein großes Interesse daran, seine Verletzung und den Aufenthalt in unserem Haus geheim zu halten. Er kann Euch deshalb gar nicht denunziert haben, jedenfalls nicht offiziell. Und selbst wenn er es getan hat, wird es so gewesen sein, dass er nur über Dritte ein paar Verleumdungen ausstreuen ließ. Gerade so viele, dass die Behörden reagieren mussten. Mehr nicht.«
»Aber er weiß mittlerweile bestimmt, wie ich heiße und wer ich bin«, sagte ich verzweifelt.
»Na und? Soll er es doch wissen! Was nützt ihm das, solange wir hier friedlich leben und kein Wässerchen trüben? Nichts. Er kann Euch nichts beweisen, höchstens, dass er von Euch ärztlich behandelt wurde, aber – wie gesagt – er wird sich hüten, das an die große Glocke zu hängen. Nein, nein, Herrin, der Mann mit der hässlichen Seele hat nichts gegen Euch in der Hand. Er ist nur kleingeistig und rachsüchtig.«
»Ich wünschte, du hättest recht«, sagte ich und seufzte.
»Ich habe recht, Herrin. Vertraut mir.«
Die Beobachtung durch die zwei Unbekannten dauerte an. Es war, wie ich zugebe, eine Zeit, in der ich es Latif schwermachte, mit mir unter einem Dach zu leben. Mal war ich voller Angst vor der Zukunft, weinte und haderte mit meinem Schicksal, mal war ich stumm wie eine Wand und
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