Die Medica von Bologna / Roman
»Hm, das schmeckt etwas, äh, ungewöhnlich, recht breiig, scharf und säuerlich.«
»Ganz recht, Dottore«, sagte Latif, und in seinen Augen sah ich etwas, das mir nicht gefiel. »Es sind nicht nur Fleischreste drin, sondern auch gemahlene Knochen.«
»Wie?«
»Dazu Knorpel, Sehnen, Schwarten und Hufe. Aber die Augen, Dottore, die werden Euch besonders munden, sie sind das Beste.«
Nun war es genug. Ich fuhr Latif an: »Was fällt dir ein, uns einen solchen Abfall aufzutischen! Trag das Zeug sofort zurück und mach uns etwas anderes!«
»Ja, Herrin!«, rief Latif erschreckt. Er wandte sich um, kam dabei ins Stolpern und verschüttete den gesamten Inhalt der Terrine. Die heiße Brühe ergoss sich auf die seidenen Beinlinge meines Gastes. Gaspare sprang hoch und rief: »Was hast du gemacht, du Tölpel!«
Latif verbeugte sich. »Wie es scheint, habe ich Euch mit Suppe übergossen, Dottore. Nur Allah, der Verstehende, der Allwissende, kennt das Maß meines Bedauerns.«
»Verschwinde, Latif!«, schimpfte ich, während ich mich bemühte, Gaspares Hose mit einem Tuch von dem ekligen Zeug zu befreien. Es gelang mehr schlecht als recht, und es war mir äußerst unangenehm. Doch Gaspare hatte sich schon wieder gefangen. »Am liebsten würde ich das Beinkleid ausziehen«, sagte er amüsiert, »damit es gründlich gereinigt werden kann. Du hast doch nichts dagegen?«
»Nein, äh, das heißt, doch! Ich habe keine Ersatzhose für dich.«
»Das ist schade, Bleiweißmädchen. Nun gut, dann entschuldige mich bitte.« Er verließ den Raum, und ich blieb sitzen, wo ich war. Latif ließ sich ebenfalls nicht blicken, doch nach einiger Zeit hörte ich ihn in der Küche rumoren. Ich rief hinüber: »Wie konntest du mir das nur antun! Erst kochst du dieses widerwärtige Zeug, dann gießt du es dem Doktor über die Kleider, und dann entschuldigst du dich nicht einmal dafür!«
»Tut mir leid, Herrin«, sagte er mit völlig veränderter Stimme. Ich sah ihn kommen und erkannte, dass Latif gar nicht Latif war, sondern Gaspare, der sich in eines der wallenden Gewänder meines Dieners gehüllt hatte.
»Was soll das nun wieder?«, fragte ich entgeistert.
Gaspare grinste. »Gefalle ich dir? Zugegeben, das Kleidungsstück ist etwas zu groß für mich, es böte Platz für einen Elefanten, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen.«
Sein Anblick war so ungewöhnlich, um nicht zu sagen lächerlich, dass mir die Worte fehlten. Wo war seine Würde geblieben, die er sonst stets auszustrahlen suchte? Er schien sich völlig verändert zu haben. Schließlich stotterte ich: »U … und Latif? Was sagt der dazu?«
Gaspare lachte. »Ich weiß es nicht, ich habe ihn fortgeschickt. Dein Diener soll ein paar Zutaten für eine anständige
minestrone
kaufen und nicht vor dem Abend wiederkommen.« Er setzte sich zu mir, direkt neben mich, und legte den Arm um meine Schulter. »Nach diesem Augenblick habe ich mich seit Monaten gesehnt.«
Ich rückte von ihm ab, obwohl es mir ganz genauso ergangen war. »Erzähl mir, was du so treibst«, sagte ich.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich arbeite hart, versuche, meinen Studenten die Geheimnisse der Medizin näherzubringen, und betrinke mich des Öfteren mit ihnen.«
»Du betrinkst dich mit ihnen?«
Gaspare kam wieder näher. »Was bleibt mir anderes übrig! Zu Hause blase ich nur Trübsal.«
Natürlich stimmte das nur zum Teil, denn er hatte zahllose Verpflichtungen, traf sich regelmäßig mit seinen Doktorkollegen, ging zu Banketten und Jubiläen, zu Versammlungen und Festen jeglicher Art, aber ich wollte gerne glauben, was er sagte, und deshalb glaubte ich ihm. Ohne dass ich merkte, wie die Stunden vergingen, plauderten wir über die alten Zeiten, die, wenn man es recht bedachte, noch gar nicht so lange zurücklagen. Wir sprachen darüber, wie wir uns kennengelernt hatten, und über die chirurgische Kunst, Verstümmelungen durch Aufpfropfen von Haut zu beseitigen, wir redeten über die von mir entworfene Kapuzenweste, die mittlerweile allgemein Verwendung fand, über Vipernsektionen im Allgemeinen und den Theriak im Besonderen und immer wieder über meine erste eigene Nasenrekonstruktion, die ich erfolgreich an Fabio, dem Dauerweiner, vorgenommen hatte. Das Einzige, worüber wir nicht redeten, war die Geschichte mit der Hutnadel.
Und während wir über all das sprachen, kamen wir uns näher und näher, und die warme, prickelnde Sehnsucht, die ich so lange nicht gespürt hatte, wurde
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