Die Medica von Bologna / Roman
ich von einem Feuermal entstellt sein? »Latif!«, rief ich, »Latif! Wo bleibst du nur?«
»Hier bin ich, Herrin.« Mein Diener stand im Türrahmen, fast so schwer atmend wie ich, und seine helle Stimme klang vor Aufregung noch heller: »Ich war bei Doktor Valerini, Herrin, aber er kann nicht kommen, er ist gestern gestorben, wie mir die Nachbarn erzählten. Das Herz sei es gewesen, so hieß es. Ich suchte nach einem anderen Arzt im Viertel, aber ich fand keinen.«
»Lass nur, es ist nicht so wichtig«, ächzte ich und versuchte, meinen bloßen Unterleib zu bedecken. Flüchtig musste ich daran denken, wie sich die Situationen doch glichen: Noch vor wenigen Tagen während der Nasenrekonstruktion war Latif es gewesen, der seine Scheu vor mir überwinden musste, und nun erging es mir ebenso.
Latif tat taktvoll so, als sehe er meine Nacktheit nicht, und rief: »Herrin, ich wollte unbedingt einen Arzt für Euch auftreiben. Ich bin zu dem terrakottafarbenen Haus von Doktor Tagliacozzi gelaufen, denn ich dachte, der Doktor als Vater unseres kleinen Giancarlo wäre der Erste, der Euch helfen müsste. Aber als ich dort war, erfuhr ich, dass er mit seiner Frau in der Gemeinde San Giacomo de’ Carbonesi ein neues Haus bezogen hat, aber wo genau, das wusste keiner. Da bin ich zurückgeeilt, um eine Hebamme aufzutreiben, aber auch das ist mir nicht gelungen.« Er schlug die Hände vors Gesicht. »Oh, Herrin, ich bin ein Versager.«
»Das bist du nicht, hole mir …« Ich wollte Latif um sauberes Leinen bitten, aber eine Flut warmer Flüssigkeit lief plötzlich an mir hinunter, und ich wusste, dass meine Fruchtblase geplatzt war. Gleichzeitig setzte ein stechender Schmerz ein, von einer Stärke, wie ich sie niemals zuvor erlebt hatte. Die Sinne schwanden mir fast. »Latif«, keuchte ich, »Latif!«
»Macht Euch keine Sorgen, Herrin«, rief er, »ich werde versuchen, ein Doktor zu sein. Ich kann nichts versprechen, aber ich war manches Mal dabei, wenn eine der Haremsdienerinnen ein Kind bekommen hat.«
Ich hörte kaum hin, so stark war der Schmerz, aber Latif redete weiter: »Ihr müsst ganz schnell atmen, Herrin, hecheln müsst ihr, und immer wieder die Luft anhalten und pressen. Beim Pressen kommt es darauf an, dass Ihr Eure ganze Kraft im Unterleib zusammenballt. Versucht es, während ich heiße, saubere Tücher besorge.«
Wie durch einen Nebelschleier sah ich ihn verschwinden, während ich mich bemühte, seine Anweisungen in die Tat umzusetzen. Ich presste und hechelte und presste wieder, und irgendwann sah ich ihn mit vielen Utensilien hereinkommen, nahm wahr, wie er hin und her eilte, den Boden wischte, auf mich einredete und mir seine großen Hände auf den Bauch legte. »Da ist es!«, rief er nach einer kleinen Ewigkeit. »Da ist das Köpfchen von Giancarlo! Jetzt kann nichts mehr passieren, Herrin, denn das Kind liegt richtig, und irgendwann wird es schon herauskommen.«
Seine Zuversicht gab mir neuen Mut. Ich presste und hechelte und presste nach seinen Anweisungen, und wenn ich heute daran zurückdenke, erschien es mir wie eine Ewigkeit, bis ich plötzlich eine ungeheure Erleichterung spürte, ein plötzliches Nachlassen der gewaltigen Anspannung, und den Jubelruf von Latif vernahm: »Herrin, es ist tatsächlich ein Junge, ein kleiner Giancarlo!«
»Ist er … hat er …?«, keuchte ich.
»Nein, Herrin, er hat keine Rubinseite im Gesicht, wenn Ihr das meint. Er ist sehr klein, aber wohlgeraten.« Er nahm meinen Sohn an den winzigen Beinchen, hielt ihn in die Höhe und gab ihm einen Klaps auf den Po. Die Antwort war ein Plärren, das mir wie Musik vorkam. Tränen traten mir in die Augen. »Oh, Gott, ich danke Dir so …«
»Lungen hat er auch, wie Ihr hören könnt, Herrin!«, rief Latif fröhlich. »Es ist alles dran an unserem Kleinen, auch das, was einen Knaben ausmacht. Ich will die Nabelschnur durchtrennen und ihn dann säubern und wickeln.«
»Danke, Latif«, flüsterte ich. »Du bist wunderbar.«
Und das war er in der Tat. Er sorgte für mich und den Kleinen, als hätte er nie etwas anderes gemacht, kümmerte sich um die Plazenta, die ein wenig später kam, reinigte mich, gab mir zu trinken und half mir zurück in mein Bett. Ich fühlte mich zu Tode erschöpft, als er mir endlich das winzige Menschlein in den Arm legte und ich voller Seligkeit wieder und wieder seinen Namen flüsterte: »Giancarlo, Giancarlo, Giancarlo …«
Dann weinte ich vor Glück.
Und Latif weinte mit.
Was ich nun
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