Die Medica von Bologna / Roman
noch einmal lauter: »Itzik, kommst du mal?«
Schlurfend näherte sich der Alte, während Fabio zu mir sagte: »Er ist schwerhörig. Doch wenn das sein Hauptleiden wäre, hätten wir Euch nicht hergebeten.«
Bevor ich fragen konnte, was er mit der Bemerkung meine, redete Fabio weiter: »Itzik hat früher als Bettler und Hausierer gearbeitet, aber seitdem die Beine nicht mehr so wollen, macht er sich hier im Haus nützlich. Außerdem gibt er, wie ich schon erwähnte, seinen Namen für die Pfandleihe her. Als Jude nimmt man ihm einen solchen Broterwerb gut ab. Bitte, seht Euch einmal seinen Rücken an. Er klagt über eine Geschwulst an der rechten Seite, die ihm höllische Schmerzen bereitet.«
»
Shalom,
so isses«, nuschelte Itzik, der inzwischen vor mich hingetreten war.
»Habt Ihr mich deshalb von Latif herbringen lassen?«, fragte ich.
Latif antwortete für Fabio: »Herrin, ich dachte, wer wie Ihr eine Rubinseite und eine Kristallseite im Gesicht trägt, hat am ehesten Mitleid mit den Armen und Unterdrückten dieser Stadt.«
»Du sprichst, als wärest du einer von ihnen?«
Conor mischte sich ein: »Irgendwie stimmt das sogar, Signorina. Wir haben Latif ein bisschen geholfen, als er rauskriegen wollte, wer Euer Haus damals beschattet hat, und er hat uns dafür an kalten Tagen Arme und Beine massiert. Er ist ein guter Masseur.«
Latif winkte ab, freute sich aber offensichtlich über das Lob.
»Itzik«, sagte ich, »zieh dein Hemd aus, damit ich mir die Geschwulst ansehen kann.« Nachdem ich meine Aufforderung lauter wiederholt hatte, gehorchte der alte Jude und sagte: »Oj, oj, hab den Schlamassel am Rücken schon lange.«
»Wie lange denn?«
»Wenn ich sagen würd, ein halbes Jahr, wär’s übertrieben, wenn ich sagen würd, einen Monat, wär’s untertrieben.«
Ich gab mich mit der Antwort zufrieden und forderte den alten Mann auf, sich auf die Bank zu setzen. Dann ließ ich so viele Laternen wie möglich herbeischaffen und besah mir die Quelle seines Leidens. Es war, wie ich rasch erkannte, ein Stielabszess, der in Höhe des rechten Schulterblatts saß. Da Itziks Wirbelsäule im oberen Bereich nach außen gekrümmt war, geriet die Stelle bei jeder Bewegung leicht in Kontakt mit Gegenständen, die im Wege waren, was jedes Mal starke Schmerzen verursachte.
Der Abszess selbst war dick geschwollen, die Haut im Umfeld stark gerötet, warm und gespannt. Er war in der Mitte offen, doch die Gifte in Form von Eiter entwichen nur spärlich – dem Wesen des Abszesses entsprechend. Es würde eines scharfen Instruments oder einer guten Sonde bedürfen, um bis hinunter zum Anfangspunkt des Stiels zu gelangen und die kranken Säfte vollends zu beseitigen.
Ich verkündete meine Diagnose, und Conor sagte mit Würde: »Wir haben uns schon gedacht, dass es was Ernstes ist und Ihr gute Instrumente braucht, Signorina, und haben alles besorgt.« Er wies auf den Tisch mit den metallenen Werkzeugen. »Die sind aus dem Ospedale della Vita, weil Itzik das gerne wollte. Die Sachen aus dem Ospedale della Morte findet er schlecht, und genauso verhält sich’s mit den Sachen aus der Farmacia della Morte, schon wegen dem Todesnamen, versteht Ihr?«
»Ja, ich verstehe«, sagte ich. Denn ich wusste, dass die Rivalität zwischen dem Hospital des Todes und dem Hospital des Lebens fast so lange bestand wie die Krankenstationen selbst, wobei es keine verheerende Seuche vergangener Tage war, der das Ospedale della Morte seinen Namen verdankt. Die Entstehung beider Namen geht vielmehr auf die Bezeichnung der zwei Orden zurück, die seinerzeit die Hospitäler gründeten. Die frommen Brüder der
Arciconfraternita di Santa Maria della Morte
besuchten regelmäßig die Gefängnisse, um die zum Tode Verurteilten zu trösten und sie zum Galgen zu begleiten. Sie taten es erstmals im Jahre 1336, zu einem Zeitpunkt, als die Mitglieder der
Confraternita della Vita
ihr Hospital schon sechzig Jahre lang betrieben. Man sagt, das Della Vita habe seinen Namen, weil sich die Patienten dort mit bemerkenswerter Schnelligkeit von allen Krankheiten, sogar von den schwerwiegenden, erholen. Kein Wunder also, dass Itzik lieber mit Instrumenten aus dem Hospital des Lebens operiert werden wollte.
Ob Conor und die Seinen die Instrumente gekauft hatten oder nicht, wollte ich lieber nicht fragen. Ich begutachtete sie und befand, dass ihr Zustand für meine Zwecke nicht gut genug war. »Höre, Conor«, sagte ich, »wenn ich mit diesem Besteck operieren soll,
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