Die Medica von Bologna / Roman
früheren Traktate. Es sind Streitschriften, um nicht zu sagen Schmähschriften, die nur ein Ziel haben: alle Andersdenkenden oder anders Aussehenden als Abtrünnige zu brandmarken und in die Fänge der Inquisition zu treiben. Wer wie ich eine
voglia di peccato
im Gesicht trägt, steht immer mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen. Es heißt, dass Menghi zurzeit in der Stadt weilt, da sein Werk bei dem Drucker und Buchhändler Giovanni Rossi erschienen ist. Seine Spitzel und Häscher sind vermutlich überall. Meine Mutter hat mir auf dem Sterbebett erzählt, dass er in Rom eine rothaarige Häretikerin gnadenlos verbrennen ließ. Wer weiß, wen er noch alles auf dem Gewissen hat.«
»Dich kriegen sie nicht.« Fabio legte mir die Hand auf den Arm. »Bei uns bist du in Sicherheit. Dies ist nur ein baufälliges Haus mit einer Pfandleihe, die von einem alten Juden betrieben wird, mehr nicht. Niemand würde dich hier vermuten – vorausgesetzt, er würde dich überhaupt suchen. Aber das wird nicht der Fall sein.«
Allmählich gelang es ihm, mich zu beruhigen, zumal auch die anderen Bettler mir auf die gleiche Weise Mut zusprachen. Doch am Abend wurde ich abermals unruhig, und Fabio sagte: »Ich weiß, was in dir vorgeht. Du willst nach Hause und nach Latif sehen, aber sei unbesorgt, es geht ihm gut.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte ich.
Fabio lächelte. »Vergiss nicht, dass wir Bettler sind und in der ganzen Stadt unserem Gewerbe nachgehen. Wir hören die Flöhe an der Wand husten. Es gibt kaum etwas, das uns entgeht. Also, noch einmal: Latif ist wohlauf. Er sagte, er fühle sich einsam in einem Haus ohne Herrin, aber dies sei sicher eine Prüfung durch Allah, den Gestrengen, den Gerechten. Er lässt dich herzlich grüßen.«
»Danke«, sagte ich, und ein Stein fiel mir vom Herzen. »Aber spätestens morgen muss ich wieder nach Hause. Latif ist zwar sehr gläubig, aber auch sehr hilflos. Er braucht jemanden, der sich um ihn kümmert.«
»Natürlich, Carla.«
Eine Woche verging. Jeden Tag wollte ich nach Hause, um nach Latif zu sehen, und jedes Mal hielt mich Fabio zurück. Conor unterstützte ihn dabei. Er sagte: »Latif ist gewitzt, der kommt schon zurecht. Seinetwegen brauchst du nicht zu gehen. Aber wenn du gehen willst, sag Bescheid. Dann sollen unsere Leute sich mal umhorchen, ob noch irgendwelche Häscher unterwegs sind.«
»Danke«, sagte ich, »das wäre gut, denn ich mag keinen Tag länger warten.«
Am nächsten Morgen verkündete Conor: »Es sieht aus, als wäre die Luft rein, aber eine Garantie können meine Leute nicht übernehmen. Nicht jedem Häscher sieht man seinen Auftrag an der Nasenspitze an.«
»Ich will es trotzdem wagen«, sagte ich. »Ich komme mir langsam albern vor mit meiner Ängstlichkeit.«
»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und wer schläft, fängt keine Fische.
Chi dorme non piglia pesce.
«
Ich lachte unsicher, nahm meine goldene Maske ab und setzte mein Barett mit dem Schleier auf. An dem Barett steckte die Pfauenfeder von Teresas Mutter, denn ich glaubte, sie würde mir Glück bringen. »
Arrivederci,
Freunde«, sagte ich und stieg die steile Treppe nach oben, wo mich der lichte Tag empfing.
Ich schritt durch die Innenstadt und ertappte mich immer wieder dabei, wie ich mich kleinmachte und an den Arkadenwänden entlangdrückte, aus Sorge, erkannt zu werden. Mein Herz klopfte wie wild. In jedem Gesicht, das mir begegnete, glaubte ich, einen der Handlanger Menghis oder der Inquisition zu erkennen. Aber nichts geschah. Je weiter ich ging, desto mehr begriff ich, dass kein Mensch sich für mich interessierte. Ich war eine ganz normale Fußgängerin, und genau das wollte ich sein.
Auf einem kleinen Markt an der Via del’ Poggiale kaufte ich ein paar Auberginen sowie kleingehacktes Lammfleisch und Zwiebeln zur Füllung der Früchte. Dazu Brot, Käse und Oliven, weil ich sicher war, dass Latif während meiner Abwesenheit keine vernünftige Mahlzeit zu sich genommen hatte. »Latif, ich bin’s«, rief ich beim Betreten meines Hauses. »Ich habe uns etwas zu essen besorgt. Hast du Lust auf ein paar gefüllte Auberginen?«
Ich ging in die Küche und legte die Speisen ab. Ein Blick in den Ofen zeigte, dass die Glut darin erloschen war. Nur graue Asche starrte mir entgegen. »Latif?«
Ich spürte, wie sich ein Eisenring um meine Brust legte. »Latif?« Ich rannte in sein Zimmer. »Latif?« Ich rannte in das Werkstattzimmer. »Latif?« Ich rannte nach oben. »Latif, wo
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