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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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küsste die runzligen Finger, und sie sagte: »Geht es dir wieder besser, mein Kind? Zwei Jahre im Krankenbett sind eine lange Zeit. Aber wir haben dich regelmäßig in unsere Stundengebete eingeschlossen, und unser Flehen ist erhört worden. Der Allmächtige in Seiner Gnade hat dich gesund werden lassen. Es muss sehr schwer für dich gewesen sein, nach so vielen Jahren zu erfahren, wer dein Vater ist.«
    »Ja, Ehrwürdige Mutter.« Ich blickte zu Boden.
    »Die Tagliacozzis gehören zu den einflussreichsten und begütertsten Familien Bolognas, ihre Zuwendungen für Kirche und Klöster sind beträchtlich.« Mutter Florienca seufzte. »Zumindest waren sie es, als dein Vater Giovanni Andrea noch lebte. Auch die frommen Schwestern von San Lorenzo bekamen von ihm eine größere Spende, und Mutter Serafina, die damalige Oberin, gab dafür das Versprechen, dass seine Vaterschaft niemals durch uns öffentlich gemacht werden würde.«
    Wieder seufzte die alte Frau. »Tja, so war das. Als ich die Nachfolge von Mutter Serafina antrat, konnte ich selbstverständlich ihr Wort nicht brechen.«
    »Ich verstehe«, murmelte ich und war entsetzt. Nach dem, was ich gerade gehört hatte, machte die Korruption in der Stadt nicht einmal vor den allseits geachteten Schwestern halt.
    »Vielleicht kann ich unsere Verfehlung wiedergutmachen, indem ich dir etwas über die Herkunft deiner Mutter erzähle, denn ich bin sicher, dass du sie nicht kennst. Sie war in ihrer Jugend eine ausgesprochene Schönheit und, nun ja, von leichtem Blute. Man sagt, dein Vater wäre nicht ihr erster Mann gewesen. Immerhin war er der erste, von dem sie schwanger wurde. Die Schwangerschaft bewirkte eine grundlegende Änderung bei ihr. So leichtlebig sie vorher gewesen war, so sehr sehnte sie sich als werdende Mutter nach einer Familie. Doch Giovanni Andrea dachte nicht daran, sich scheiden zu lassen, er hielt an seiner Frau Isabeta Quaiarina fest, und für deine Mutter brach eine Welt zusammen. Fortan lebte sie nur noch für sich und ihr Kind, und sie wurde das, was sie zuvor nicht war: eine gläubige, gottesfürchtige Kirchgängerin. Wir alle haben für ihr Seelenheil gebetet, als sie durch den tragischen Unfall starb. Ich bin sicher, der Allmächtige hat ihr alle Sünden vergeben, und sie ruht in Frieden immerdar.«
    »Ja, Ehrwürdige Mutter«, flüsterte ich. Ich überdachte das, was die alte Frau mir eröffnet hatte, und wunderte mich, dass es mich weder besonders traf noch besonders überraschte. Nur ein leises Gefühl der Erleichterung spürte ich, weil ich nun alles wusste.
    »Ich werde für dich beten, mein Kind, damit du weiter deinen Weg gehen kannst. Ach, wo ich gerade davon spreche: Was machst du eigentlich in der letzten Zeit?«
    »Ich tue Gutes, Ehrwürdige Mutter«, antwortete ich ausweichend.
    »Und? Magst du mir auch sagen, was das ist?«
    »Nicht im Einzelnen, aber ich tue Gutes für die Armen und Verlorenen.«
    »Das soll mir genügen.« Sie musterte mich mit ihren klugen Augen. »Aber solltest du irgendwann den Wunsch verspüren, dich und dein Wirken ganz dem Allmächtigen zu verschreiben, zögere nicht und klopfe an meine Tür.«
    »Das verspreche ich.«
    »Gott segne dich, mein Kind.« Sie schlug mit zitternder Hand das Kreuz, und ich entfernte mich.
     
    So begann das Jahr 1584, das für mich das einschneidendste meines ganzen Lebens werden sollte. Doch zunächst fand ich weiterhin große Erfüllung im Dienst an den Armen der Stadt, und erst im April geschah es, dass ich einen folgenschweren Fall zu behandeln hatte.
    Eine entfernte Verwandte des Bettlerkindes, das aus Langeweile Oleanderblätter gegessen hatte, klopfte an die Tür zur Casa Rifugio und bat um Einlass. Da niemand sie kannte, wurde sie Conor vorgeführt, dem sie ihr Leid klagte. Sie sei unheilbar krank, sie habe eine letzte Hoffnung, und die sei die Medica. Conor wollte sie trotz ihrer Not fortschicken, denn ihr Gesicht gefiel ihm nicht, aber ich kam hinzu und sagte: »Wenn jemand krank ist, dann ist es meine Berufung, ihn zu heilen, ohne Ausnahme.«
    Conor zögerte und gab dann nach.
    Ich führte die Frau zu der kleinen Ecke im Bettlersaal, die mir als Gesprächsort diente, und begann: »Sag mir, wie du heißt, wie du zu uns gefunden hast und unter welchen Beschwerden du leidest.«
    Die Frau, eine ältere Person mit spitzem Gesicht, die wie eine Bettlerin gekleidet war, sagte: »Ich heiße Constanzia.«
    »Ich habe dich noch nie gesehen. Aus welchem Viertel kommst du,

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