Die Medica von Bologna / Roman
steckst du? Latif? Latiiif!«
Ich brauchte eine geraume Weile, bis ich mir eingestand, dass er nicht da war. Nun gut, das muss nichts bedeuten, versuchte ich mich zu beruhigen. Schließlich weiß er nicht, dass ich komme. Aber wo könnte er sein?
Ich holte frisches Anmachholz vom Hof und entfachte das Feuer. Bis der Ofen genug Hitze entwickelt hatte, wusch ich die Auberginen, schälte sie und höhlte sie aus. Dann würfelte ich die Zwiebeln. Ich briet die Auberginen von allen Seiten in feinem Olivenöl an und stellte sie beiseite. Es folgten das Hackfleisch und die Zwiebeln, die ich verknetete und ebenfalls briet, und das Würzen mit Salz und Pfeffer. Nachdem ich die Auberginen mit der Hackfleischmasse gefüllt hatte, streute ich noch geriebenen Parmesan darüber. Ich war sicher, dass die Mahlzeit Latif schmecken würde. »Latif?«
Noch immer war er nicht da, obwohl ich sicher schon mehr als eine Stunde auf ihn wartete. »Latif?«
Wieder legte sich der Eisenring um meine Brust, und diesmal blieb er. Ich wurde immer unruhiger. Schließlich hielt es mich nicht mehr in meinem Haus. Ich eilte die wenigen hundert Schritte hinüber zu Teresa und ihrer Mutter, Signorina Mezzini. Doch beide waren nicht da.
Auch sie waren nicht da.
Das konnte doch kein Zufall sein!
Ich war den Tränen nahe, zitterte am ganzen Körper und brauchte alle Kraft, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ich musste weitersuchen, alles andere ergab keinen Sinn. Ich lief von Haus zu Haus, sprach mit Nachbarn und Bekannten und stellte gebetsmühlenhaft meine Frage nach Latif, einem großen, dicken, kahlköpfigen Mann in einem wallenden weißen Gewand. Aber niemand hatte ihn gesehen.
In meiner Ratlosigkeit suchte ich sogar Marcos Mutter auf, die alte Signora Carducci, die mittlerweile taub und blind war, doch als ich ihr meine Frage stellte, sah sie mich nur verständnislos aus ihren trüben Augen an.
»Ich bin Carla!«, schrie ich ihr ins Ohr. »Ich war einmal mit Marco verlobt!«
»Ach, Marco?«, krächzte sie. »Er kommt gleich wieder, mein Marco … gleich wieder.«
Ich sah ein, dass es keinen Zweck hatte, weiter in sie zu dringen, wünschte ihr noch einen guten Tag, obwohl sie das sicher nicht mitbekam, und verließ das Haus, in dem Marco einst gelebt hatte. Ich setzte gedankenverloren einen Fuß vor den anderen und machte mir die schwersten Vorwürfe. Latif war fort, und ich war schuld. Wenn ich nicht eine Woche ängstlich bei den Bettlern ausgeharrt hätte, wäre ich bei ihm gewesen und hätte auf ihn aufpassen können. Alles wäre gut, alles …
»Signorina Carla!« Wie aus weiter Ferne hörte ich ein Stimmchen. Es gehörte Teresa. Sie lief neben ihrer Mutter her und hielt die Holzpuppe von Latif in der Hand. »Signorina Carla, Mamma und ich waren ganz weit weg in einem Haus, wo es ganz dunkel war, aber nun sind wir wieder da. Guckt mal, wie meine Sonne scheint.« Sie hob ihr Kleidchen, und ich sah das Bruchband, das ich ihr nach der geglückten Operation verordnet hatte.
»Schön«, sagte ich mühsam, »sie scheint wunderschön, deine Sonne.«
Signora Mezzini sagte: »Hör mal, Teresa, du bist doch schon ein großes Mädchen?«
»Jaha?«
»Meinst du, du kannst schon vorlaufen und das Essen warm stellen? Signorina Carla und ich haben noch etwas zu besprechen.«
»Ja, kann ich.« Die Kleine schwenkte fröhlich ihr Püppchen und hüpfte davon. Signora Mezzini blickte ihr nach, länger als notwendig, und ich ahnte, warum sie das tat. Sie mochte mir nicht ins Gesicht sehen.
»Sagt, was geschehen ist. Ihr wisst doch etwas?«, presste ich hervor.
»Ja, Signorina, ich weiß etwas, denn ich habe etwas Furchtbares mit ansehen müssen, ohne es ändern zu können.«
»Latif?«
»Ja.«
»Was ist mit ihm, sprecht schon!«
»Sie haben ihn verhaftet. Zwei Männer haben ihn gefesselt aus Eurem Haus geführt. Ich sah es zufällig, weil ich gerade Wäsche austrug. Die Kerle waren bärenstark, sie mussten es auch sein, denn Euer Diener wehrte sich nach Kräften. ›Lasst mich in Ruhe!‹, brüllte er immer wieder. ›Bei Allah, dem Allessehenden, dem Allesstrafenden, lasst mich in Ruhe! Ich weiß nicht, wo meine Herrin ist, ich weiß es nicht, und wenn ihr mich dafür auf die Streckbank legt!‹ Aber sie lachten nur, und einer rief: ›Wenn wir die Kurpfuscherin nicht kriegen, nehmen wir eben ihren Lakai. Du wirst schon noch verraten, wo sie steckt, Dicker. Wenn der hochwürdigste Priester Helvetico zusammen mit Girolamo Menghi foltern lässt,
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