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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ihrer Trinkfestigkeit und Sorglosigkeit. Er redete von den anfänglichen Schwierigkeiten, die er gehabt hätte, um von ihnen anerkannt zu werden, von ihrem Stolz und von ihren Ritualen. Er schwärmte mit leuchtenden Augen von den zahllosen Ereignissen im akademischen Jahr, das für die Freien Künste nach dem achtzehnten Oktober, dem Feiertag von San Luca, begann, ließ sich lang und breit über den allgemeinen Studienbeginn nach Allerheiligen aus und rief: »Es wird großartig werden, Carla! Und ich, ein frischgebackener
Studiosus,
werde immer dabei sein! Die Inauguration wird die prächtigste Bekanntmachung aller Zeiten werden.«
    »Inauguration – was ist das?«, fragte ich.
    »Die feierliche Einführung in die akademischen Ämter.«
    »Und wer wird da eingeführt?«
    »Lehrer, Doktoren, Professoren, so genau kenne ich ihre Namen noch nicht.«
    »Hast du denn die richtige Kleidung für solche Anlässe?«
    »Wohl nicht«, räumte er ein, und für einen Augenblick ließ seine Begeisterung etwas nach. Doch dann kehrte sie gleich wieder zurück. »Aber bestimmt bin ich der Student mit den bestsitzenden Schuhen!«
    Ich musste lachen. Aus dem schüchternen, scheuen Jüngling, den ich vor zwei Jahren kennengelernt hatte, war ein recht selbstbewusster junger Mann geworden. Ich fragte mich, welchen Beitrag ich dazu geleistet haben mochte, doch ich kam nicht dazu, den Gedanken weiterzuspinnen, denn schon fuhr er fort: »Wir werden dem Ruf der
la scolara
folgen, äh, du weißt schon, der großen Glocke von San Petronio, und uns auf der Piazza Maggiore vor der Kirche versammeln, alle Lehrer und Doktoren des Kollegiums, alle Prioren, Studentenräte und eine große Menge Volk, zusammen mit den Honoratioren des Senats und den Mitgliedern des Adels. Es wird ein überwältigender Anblick sein, und es wird eine überwältigende Inauguration werden.«
    »Oh, bestimmt«, pflichtete ich ihm bei. Und weil ich merkte, wie sehr es ihn drängte weiterzuerzählen, fragte ich: »Und dann?«
    »Dann werden wir gemessenen Schrittes zu der Großen Halle des Archiginnasios gehen, wo einer der Studenten eine Rede halten und anschließend die Liste der gesamten Lehrerschaft verlesen wird. Nach dem Verlesen des
rotulo
wird eine Messe des Heiligen Geistes in der Kapelle Santa Maria de’ Bulgari gehalten, direkt gegenüber dem Innenhof des Archiginnasios. Du weißt doch, dort, wo der Theriak im Frühling hergestellt wird.«
    »Ja«, sagte ich, »das hast du erzählt.« Und ich fragte mich, wo ich bei alledem blieb, aber letztlich freute ich mich für ihn. Ich gönnte ihm seinen neuen Stand von Herzen und dachte, wenn er erst einmal zur Ruhe gekommen sei, würden wir heiraten und gemeinsam im Haus des Onkels wohnen. Doch das waren nicht meine einzigen Gedanken. Ich ertappte mich dabei, dass ich Marco beneidete. Mit dem Studium der Medizin erfüllte er sich einen Wunsch, der mir zeit meines Lebens versagt bleiben würde, schon allein meines Feuermals wegen, bei dessen Anblick jedermann zurückschreckte – von wenigen Ausnahmen abgesehen.
    So verging weitere Zeit. Im Winter 71/72, als Marco seine ersten Vorlesungen bei einem Professor für Chirurgie namens Aranzio besucht hatte, kam er eines Tages freudestrahlend zu mir und verkündete: »Ich habe heute gehört, wie du deine Scheu vor dem Spiegel verlieren kannst. Ach, was rede ich! Ich habe sogar gehört, wie aus dem Spiegel dein Freund werden kann. Die Zeiten des
brutto nemico
sind vorbei.«
    Ich muss ihn angeschaut haben, als würde ich an seinem Verstand zweifeln. Doch er fuhr unbeirrt fort: »Das Geheimnis liegt darin, dass du nicht nur einen, sondern viele Spiegel brauchst.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Glaub mir, mit Einsetzen des Mithridates-Effekts wirst du dich mehr und mehr an deinen Anblick gewöhnen. Am Ende wirst du dir ganz normal in die Augen sehen können, wie jeder andere Mensch auch.«
    »Was ist ein Mithridates-Effekt?«, fragte ich.
    »Dazu muss ich dir erst erklären, was ein Mithridatum ist. Ein Mithridatum ist ein Elektuarium …«
    »Was ist ein Elektuarium?«
    »Du willst es ganz genau wissen, wie? Also schön, von Anfang an: Ein Elektuarium ist eine Auswahl verschiedener Wirkstoffe in fester oder flüssiger Form. Wenn du so willst, ist auch der jährlich im Archiginnasio hergestellte Theriak ein Elektuarium, weil immer dieselben Zutaten hineinkommen.«
    »Gut«, sagte ich.
    »Also, ein Mithridatum ist ein Elektuarium, dessen Name auf den König Mithridates VI .

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