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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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um die Wartezeit in die Länge zu ziehen – mal war es ein wichtiger Auftrag, zu dessen Ausführung sie meine Hilfe benötigte, mal war es ein hartnäckiger Katarrh auf ihrer Lunge, der meiner Pflege bedurfte, mal war es die falsche Jahreszeit für eine Eheschließung, denn heiraten, so ihre Meinung, dürfe man nur im Winter, im Sommer dagegen, wenn flimmernde Hitze über der Stadt läge, fühle der Höllengeborene sich magisch dadurch angezogen und würde Verderben über alle Jungvermählten bringen, mal war es der schwindelerregende Preis für den Festschmaus, mal die Kirche, die nicht an der richtigen Stelle stehe. Letztere auszuwählen geriet zu einem kapitalen Problem, denn für die Hochzeitsfeierlichkeiten bestand meine Mutter auf ihrem so sehr verehrten Pater Edoardo, und dieser wurde von mir strikt abgelehnt.
    Doch endlich ergab sich eine große Veränderung. Sie bestand nicht in dem lang ersehnten Ende der Wartezeit, sondern in einer Neuigkeit, mit der Marco im Sommer des Jahres 1571 aufwartete: »Ich habe eine Erbschaft gemacht«, erklärte er strahlend.
    Wir saßen in einem Raum neben dem Werkstattzimmer bei einem Glas verdünnten Lambruscos, und er hatte wie üblich seine Hand an meine Taille gelegt. »Eine Erbschaft, von wem denn?«, fragte ich ungläubig.
    »Von einem entfernten Onkel.« Marco strahlte noch immer. »Eigentlich hat er meine Mutter als Erbin eingesetzt, aber Mutter sagt, sie brauche das Geld nicht. Ich soll es haben.«
    »Das finde ich sehr großzügig von ihr.« Ich dachte an das Haus, auf das Marco für uns sparte, und fragte: »Wie viele Scudi sind es denn?«
    »Genau weiß ich es nicht, vielleicht hundertneunzig oder zweihundert.«
    »Kaufst du uns davon ein Haus?«
    Marco lachte. »Für zweihundert Scudi Romani kriegst du kein Haus, jedenfall keins, wie ich es mir vorstelle. Ich habe eine viel bessere Idee. Ich werde« – er machte eine inhaltsschwere Pause – »Medizin studieren.«
    »Medizin? Du?«
    »Warum nicht?« Marco wirkte leicht gekränkt. »Traust du mir das etwa nicht zu? Ich war immer gern Schuhmacher, aber noch viel lieber wollte ich Arzt werden. Es mangelte nur am Geld.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Hör mal, ich habe mir alles genau überlegt: Die Kosten für die Graduierung betragen siebzig Scudi, dann hätte ich noch immer ein hübsches Sümmchen übrig. Und noch eins: Wenn ich in fünf Jahren meinen Doktor habe, verdiene ich so viel Geld, dass ich dir ein Dutzend Häuser kaufen kann. Bis dahin ziehen wir in das Haus des verstorbenen Onkels. Wir heiraten und sind endlich unter uns. Keine Signora Castagnolo mehr, der wir für alles Rechenschaft schuldig sind, keine krankhafte Neugier mehr, keine Blicke, die deine Jungfernschaft verteidigen. Na, was sagst du dazu?«
    Mir ging das alles zu schnell. »Fünf Jahre sind eine lange Zeit, du wirst ein alter Mann sein, wenn du mit dem Studium fertig bist.«
    »Entschuldige mal, ich bin erst zweiundzwanzig.«
    »Und siebzig Scudi sind furchtbar viel Geld.«
    »Genau genommen sind es nur neunundsechzig Scudi, acht Paoli und fünf Baiocchi, so viel verlangt das Archiginnasio von einem Bologneser Bürger. Wenn ich keiner wäre, müsste ich nur dreiundzwanzig zahlen, aber das ist mir gleich. Komm, Carla, nun freu dich endlich, du wirst die Frau eines Arztes, hättest du dir das jemals träumen lassen?«
    »Nein«, sagte ich, »aber ich freue mich.«
     
    Auch meine Mutter freute sich, wenn man das kurze Lächeln, das bei der Neuigkeit über ihre Züge glitt, so verstehen wollte. »Dann habt ihr mit dem Heiraten ja noch etwas Zeit.«
    »Nein«, sagte ich, und Marco ergänzte: »Wir ziehen in das Haus meines Erbonkels und haben damit eine eigene Bleibe. Einer Heirat steht nichts mehr im Wege.«
    Doch unsere Hochzeit sollte sich abermals verschieben, nicht meiner Mutter wegen, sondern weil Marco plötzlich alle Hände voll zu tun bekam, sein neues Leben in die richtigen Bahnen zu lenken. Er kündigte bei dem Schuhmachermeister, für den er viele Jahre gearbeitet hatte, zog vorab allein in das Haus des Onkels, um dort, wie er sagte, alles aufs Beste für mich vorzubereiten, und schrieb sich anschließend auf dem Archiginnasio ein. Obwohl er so viel um die Ohren hatte, kam er fast täglich zu mir, legte mir den Arm um die Taille und berichtete brühwarm, was er erfahren und erlebt hatte.
    Er erzählte von den Festen und feierlichen Zeremonien, die das Leben der Studenten begleiteten, ihrem Vergnügen an Prunk und Symbolen,

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