Die Medica von Bologna / Roman
Behandlung durchführt, hat die ersten Schritte unternommen und sie seinen Studenten demonstriert, jedenfalls berichtete mir der Kutscher das.«
Ich nickte. Professor Aranzio war mir durch Marcos Erzählungen bekannt.
»Da der Professor ein vielbeschäftigter Mann und das Ospedale della Morte bis auf das letzte Bett belegt ist, bittet er uns, den Patienten vorübergehend aufzunehmen. Er lässt ausrichten, die Mutter Oberin wisse schon Bescheid.«
»Weißt du Genaueres über die Behandlungsschritte?«, fragte ich neugierig.
»Nein. Es gibt nur ganz wenige Chirurgen, die mit der Technik der
Ars Reparatoria
vertraut sind, und sie machen allesamt ein großes Geheimnis um diese Kunst. Jedenfalls uns Normalsterblichen gegenüber.«
»Was den Menschen hilft, sollte allgemein bekannt sein.«
Marta lachte. »Das mag sein, aber du wirst unsere Professoren nicht ändern. Nun lass den Patienten in den kleinen Raum neben dem Südausgang bringen. Er soll in einem Bett sitzen, das am Fenster steht, aber nicht der Zugluft ausgesetzt sein. Sorge dafür, dass er zu Mittag leichte Nahrung wie Brühe, Hühnchenfleisch und Gemüse erhält. Ich muss zur Mutter Oberin und ihr mitteilen, dass der angekündigte Kranke eingetroffen ist.«
Ich ließ mir in der Küche die Speisen geben und ging damit in den kleinen Raum neben dem Südausgang. Als ich vor ihm stand, setzte ich das Tablett am Bettende ab und wusste nicht recht, wie ich ihn ansprechen sollte. Ich wunderte mich über mich selbst, denn ich spürte ihm gegenüber keinerlei Hemmungen wegen meines Feuermals, vielleicht, weil seine Entstellung mindestens genauso schlimm war. »Ich bin Carla, ich bringe das Essen«, sagte ich.
Er antwortete nicht, sondern schaute mich nur an.
Ich brachte es fertig, ihn ebenso direkt anzuschauen und sah zu meiner Überraschung, dass er viel jünger war, als ich angenommen hatte. Er zählte höchstens dreißig Jahre. Dass er die Bettelei zu seinem Broterwerb gemacht hatte, sah man allenfalls an seinen struppigen, langen roten Haaren. Ansonsten war er sauber gewaschen und rasiert. Er trug eine weiße ärmellose Weste aus starkem Tuch, die vorn verschnürt war und ihm auf diese Weise half, sich sitzend bequem aufrecht zu halten. Starke Schnüre und Bandagen gaben dem angewinkelten Arm Halt. »Wie heißt du?«
»Ich heiße Conor«, sagte er und griff nach dem Löffel für die Suppe.
»In diesem Haus spricht man erst ein Gebet, bevor man isst«, sagte ich.
»Nichts für ungut«, brummte er, »bin’s nicht gewohnt zu beten.«
»Dann werde ich es für dich tun.« Ich schlug das Kreuz und wählte nicht das übliche Angelus-Gebet, sondern einfache Worte, die er verstand:
»Alle guten Gaben,
alles, was wir haben,
kommt, o Gott, von dir;
wir danken dir dafür.
Amen.«
»Amen«, sagte auch Conor und nahm den Löffel. Ich beobachtete ihn, wie er langsam aus der Schüssel aß. Er führte den Löffel vorsichtig zum Mund, wobei er besonders darauf achtete, nicht gegen den Nasenstumpf zu kommen. Da er mit dem Gesicht zum Licht saß, hatte ich Gelegenheit, mir die Arbeit von Professor Aranzio genau anzusehen. Ich bemerkte, dass der vom Bizeps herunterhängende Hautlappen oben an der Nasenwurzel ansetzte und links und rechts auf ganzer Nasenlänge mit jeweils sieben Stichen angenäht war. Die Einstichstellen für die Nadel waren offenbar vorher markiert worden. Dort, wo früher die Nasenspitze gewesen war, stand der Hautlappen ein Stück frei, bevor er in den Bizeps überging. Alles in allem schien es ein Lappenstiel zu sein, der oberflächlich aus der Haut herausgetrennt worden war und nun mit der verstümmelten Nase zusammenwachsen sollte.
Konnte das überhaupt sein?, fragte ich mich. Und wenn ja, wie sollte aus einem Lappen eine erhabene Nasenform entstehen? Was war mit den Nasenlöchern? Sollten die aus dem freien, überstehenden Stück Haut gebildet werden? Am meisten aber interessierte mich, ob die Haut unter dem herausgeschnittenen Lappen nach der Heilung wieder so aussehen würde wie zuvor. Falls das so wäre, überlegte ich, könnte mein Gesicht nach einer Operation vielleicht auch wieder …? Nein, ich wollte nicht glauben, dass dies möglich war. Wenn ich es nicht glaubte, konnte ich mir auch keine Hoffnungen machen – und nicht enttäuscht werden.
Ich blickte auf die Schüssel und sah, dass Conor sie fast geleert hatte. Er führte den Löffel ein letztes Mal zum Mund und musste dabei ein wenig zu forsch gewesen sein, denn er stieß gegen
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