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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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schielend: »Wusstet Ihr eigentlich, Schwester, dass Betteln harte Arbeit ist?«
    Überrascht antwortete ich: »Nein. Ich dachte immer, betteln tut nur, wer nicht arbeiten will oder kann.«
    »Betteln ist anstrengend, und was anstrengend ist, ist Arbeit.«
    »Und was ist daran so anstrengend?«
    »Alles, Schwester. Alles! Am schwierigsten ist es, einen guten Platz zu verteidigen. Ich für meinen Teil sitz ganz in der Nähe vom großen Neptunbrunnen auf der Piazza Maggiore. Da treffen sich abends die Liebespaare und schnäbeln miteinander. Wer verliebt ist, dem sitzt die Münze locker, wisst Ihr. Aber man muss immer da sein. Jeden Tag zur gleichen Zeit, bei Wind und Wetter. Zu den Verliebten sag ich immer, wie gut sie zueinander passen und dass die Welt noch nie so ein schönes Paar gesehen hat und dass sie bestimmt mal ganz reizende
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kriegen würden, und dann kichern die Mädchen meistens, und die Jünglinge kriegen ’ne ganz breite Brust. Ja, man muss einen guten Platz haben, ohne den geht nichts. Was würdet Ihr denn machen, wenn plötzlich ein anderer an Eurem Platz die Hand aufhält?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Dann wird’s schwierig, sag ich Euch. Besonders, wenn der andere stärker ist. Man muss schon gute Freunde haben, die einem helfen, sonst ist man verraten und verkauft. Und man muss in der Organisation sein. Wisst Ihr, was das ist?«
    »Nein.« Allmählich begann mich zu interessieren, was Conor erzählte.
    »Eine Organisation ist so was Ähnliches wie ’ne Zunft, nur eben nicht mit Handwerkern, sondern mit Bettlern. Ein Zunfthaus haben wir nicht, aber immerhin ein Haus, auch wenn man’s auf den ersten Blick nicht erkennt. Da versammeln wir uns, wenn was ansteht. Wir sind nicht ehrbar, und wir haben auch nicht so viel zu verlieren wie die Herren Bürger oder die Hochwohlgeborenen, aber einen König, den haben wir. Und wir haben unser eigenes Gericht. Wer dem anderen seinen guten Platz wegnimmt, der kommt vors Gericht.«
    Ich staunte. »Ihr Bettler habt ein eigenes Gericht?«
    »Aber ja! Den Vorsitz hat der König, und wer verurteilt wird, der hat nichts zu lachen, das könnt Ihr mir glauben, Schwester.«
    »Und welche Strafen verhängt der König?«
    »Das ist verschieden. Das Übelste ist, wenn einer Bologna verlassen muss. Draußen vor der Stadtmauer gibt’s nämlich nichts zu betteln, die Bauern geben nichts, da könnt Ihr die Hand noch so weit aufhalten.«
    »Ich verstehe.«
    »Jetzt wisst Ihr, wie wichtig ein guter Platz ist und warum betteln Arbeit ist.«
    »Ja«, sagte ich, »jetzt weiß ich es.«
     
    An einem anderen Tag, ich hatte Conors Hautlappen gerade der Anweisung nach mit einer Pudermischung aus Myrrhe, getrocknetem Drachenblut und Weihrauch bestreut, um das Nässen der Operationsnähte zu unterbinden, sagte er: »Wisst Ihr, was an der Bettelei auch noch anstrengend ist, Schwester?«
    »Nein, das weiß ich nicht.«
    »Dass man klein anfängt. Man fängt klein an und arbeitet sich immer weiter rauf. Aber nur, wenn man ’ne Begabung dafür hat.«
    »Das hört sich an wie bei einem richtigen Beruf?«
    »Betteln ist ein richtiger Beruf, Schwester. Ich muss es wissen, denn ich hab ganz klein angefangen. Ich hab ’nen Iren zum Vater und ’ne Einheimische zur Mutter, müsst Ihr wissen. Viel von ihnen weiß ich nicht, nur, dass sie im Jahr 49 am Römischen Fieber gestorben sind. Ich war knapp acht, und niemand hat sich um mich gekümmert. Da musste ich betteln. Hab auf der untersten Stufe angefangen. Da sitzt man an einem schlechten Platz, wo kaum einer vorbeikommt, und hofft auf ’ne milde Gabe, und wenn man nicht aufpasst, dann bleibt man ›kleben‹, das heißt, man sitzt sein ganzes Leben lang da. Das wollt ich nicht. Ich hab mich dann zur zweiten Stufe hochgearbeitet.«
    »Was ist die zweite Stufe?«, fragte ich.
    »Die zweite Stufe, die ist viel einträglicher, weil man jemanden hat, der einem beim Betteln hilft, meistens ein Tier. Das kann ’ne Katze sein oder ein Affe oder ein Papagei. So was zieht die Leute an. Sie kommen und fragen, wie das Tier heißt, und bevor man antwortet, sagt man, dass man Hunger hat, und streckt die Hand aus. Das klappt meistens.«
    »Wenn du von einer zweiten Stufe sprichst, dann gibt es sicher noch eine dritte?«
    »Erraten. Die dritte Stufe macht am meisten Arbeit. Da hat man keinen festen Platz, sondern ’nen festen Bereich. In dem bewegt man sich. Man geht auf die Leute zu und spricht sie an. Das ist schwierig, weil die meisten nicht

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