Die Medica von Bologna / Roman
ich meine Kleidung mit einem einfachen, dem Habit der Nonnen sehr ähnlichen Gewand, und trat meinen Dienst an.
Wir waren insgesamt drei Frauen, denen die Pflege der Kranken anvertraut war. Außer mir arbeiteten im Hospital noch Schwester Marta und eine Novizin namens Giade, die im Herbst ihre Gelübde ablegen sollte. Die Leitung der Krankenstation hatte Schwester Arianna, eine ältere Frau, die häufig von Rückenschmerzen geplagt wurde.
Schwester Marta war diejenige, mit der ich am engsten zusammenarbeitete und von der ich am meisten lernte. Sie war eine Frau in mittleren Jahren, deren zupackende, herzliche Art von den Kranken besonders geschätzt wurde. Sie weckte in mir das Interesse für alles, was mit Medizin zu tun hat. Sie brachte mir bei, wie man Verbände richtig wickelt, damit sie nicht nur die Wunden abdeckten, sondern diese auch vor äußeren Einflüssen bewahrten und darüber hinaus die Gliedmaßen stützten. Sie schärfte meinen Blick für das Erkennen der Symptome, lehrte mich, sie zu unterscheiden und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sie wies mich ein in die Zusammensetzung der wichtigsten Arzneimittel, erklärte mir deren Aufbereitung und die Art ihrer Darreichung. Sie zeigte mir die notwendigen Griffe, um Schwerkranke umzubetten oder aufzurichten, damit sie Nahrung zu sich nehmen konnten. Sie brachte mir alles bei, was sie selbst wusste, und das war nicht wenig.
Und sie war es auch, die mich immer wieder dazu anhielt, den Lateinunterricht für die Novizinnen zu besuchen, denn sie war der Meinung, ich sei zu begabt, um es bei der üblichen Ausbildung zu belassen. »Um die medizinischen Traktate der Ärzte und Gelehrten verstehen zu können, musst du die Sprache der Wissenschaft beherrschen, und das ist nun mal Latein. Also, streng dich an, ich weiß, du schaffst es«, sagte sie und knuffte mich aufmunternd in die Seite.
Und ich gehorchte. Ich besuchte am frühen Nachmittag den Unterricht von Schwester Claudia, der Lateinlehrerin, beschäftigte mich mit Vokabeln und Deklinationen und stellte dabei fest, dass mir der Aufbau und die Melodie der Sprache Freude machten.
So ging das Jahr dahin. Der Sommer kam mit seinen heißen Tagen und brachte viel Arbeit im Hospital mit sich, denn zahllose Menschen litten unter hitzigem Fieber, Ausschlag und Durchfallerkrankungen.
Im Herbst legte Giade während einer feierlichen Zeremonie in der Klosterkirche ihre Gelübde ab und nannte sich fortan Schwester Giorgia.
Im Spätherbst kam es immer häufiger vor, dass Bettler im Hospital um Aufnahme baten. Es gab im reichen Bologna zu jener Zeit rund dreißigtausend dieser armen Menschen, und die meisten von ihnen hatten kein Dach über dem Kopf. Die Folge waren Unterkühlungen, Gliederreißen und Blasenentzündungen – ernsthafte Beschwerden, die wir mit Wärme, Kräutertränken und Sitzbädern nach besten Kräften zu bekämpfen suchten. In dieser Zeit war jede Hand im Hospital gefragt, so dass ich selten vor dem frühen Abend den Heimweg antreten konnte.
Wenn ich zu Hause war, ging ich meistens sofort zu Bett, las bei Kerzenlicht die Lektüre, die Schwester Marta mir aus der Klosterbibliothek besorgt hatte, darunter die Schriften Galens zur Vier-Säfte-Lehre und seine Abhandlung
De febrium differentiis,
in der viel Wissenswertes über die unterschiedlichen Fiebererkrankungen steht. Ferner ein Werk des Anatomen Andreas Vesalius über den Aufbau des menschlichen Körpers
De humanis corporis fabrica,
dem ich manch Staunenswertes entnahm, unter anderem die These, dass die Vorfahren des Menschen Affen und Pygmäen seien. Außerdem las ich das Werk
Liber de herbis,
ein Schriftenkompendium über die Wirkweise der Heilkräuter eines gewissen Pater Thomas, eines zu jener Zeit noch lebenden Mönchsarztes im nordspanischen Zisterzienserkloster Campodios.
Marco sah ich nur selten. Zwar kam er, wie er beteuerte, regelmäßig, um mich zu besuchen, aber entweder war ich nicht da oder vor Erschöpfung schon eingeschlafen.
Bei den wenigen Malen, als wir uns trafen, sprachen wir meistens über medizinische Dinge. Marco, dessen anfängliche Begeisterung für sein Studium nachgelassen hatte, berichtete von seinen Vorlesungen und Demonstrationen, wobei er sehr viel Theoretisches zum Besten gab, ich dagegen erzählte von der praktischen Pflege der Kranken, ihren Sorgen und Nöten. Wir stellten fest, dass wir beide Latein lernten, er mit einiger Mühe, ich dagegen mit Leichtigkeit. »Was ich einmal schwarz auf weiß
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