Die Medica von Bologna / Roman
Nibelungenkleid. Es ist burgunderrot, wie du siehst; die Nibelungen waren einst ein Herrschergeschlecht in Burgund.«
»Ach, deshalb.«
»Ja, deshalb.«
»Du hast vielleicht Einfälle! Ein Kleid ›Nibelungenkleid‹ zu nennen, nur weil es burgunderrot ist.«
»Gefällt es dir nicht?«
»Doch, doch. Ist die Suppe bald fertig? Ich habe einen Bärenhunger.«
Ich begann, mich über ihn zu ärgern. Nicht nur, dass ihm mein Kleid ziemlich gleichgültig war, mehr noch, er schien auch kaum beeindruckt von der atemberaubenden Lehrstunde im Archiginnasio, der beizuwohnen er kurz zuvor das Privileg gehabt hatte. Das Einzige, was ihn offenbar interessierte, war das Essen. Ich schwieg.
»Du siehst aus, als wärst du noch unterwegs gewesen. Oder hattest du wieder so lange Dienst bei den Nonnen?«
»Setz dich schon mal an den Tisch, es geht gleich los.«
Als wir aßen, hakte Marco mit vollem Mund nach: »Hattest du wieder so lange Dienst bei den frommen Schwestern?«
Ich überlegte, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte, schließlich kannten wir uns lange genug und waren einander versprochen, doch ich kam zu dem Schluss, dass es besser war, den Mund zu halten. Seine Reaktion auf meinen Wunsch zu studieren war mir noch in bester Erinnerung. »Ich hatte wie immer einen anstrengenden Dienst bei den Schwestern«, sagte ich. Und um ihn abzulenken, fügte ich hinzu: »Ich habe mir auch eine neue Zimarra genäht.«
»Eine neue Zimarra? Warum denn das?«
»Die alte gefiel mir nicht mehr.«
Wir aßen weiter und verfielen in Schweigen. Um das Gespräch wieder in Gang zu bringen, sagte ich: »Ich habe mir auch ein neues Barett angefertigt. Es ist rosafarben.« Ich stand auf und holte es, zusammen mit der beinernen Hutnadel.
Marco betrachtete beides mit einer Mischung aus Neugier und Bedenken. »Carla, Carla, jetzt wundere ich mich aber: Du legst dir ein neues Kleid, eine neue Zimarra und ein neues Barett mit Hutnadel zu. Das macht man doch nicht einfach so. Was hat das alles zu bedeuten?«
Ich ging nicht auf seine Frage ein, denn ich hatte mich entschlossen, ihn um etwas zu bitten, das mir schon länger auf dem Herzen lag. »Sag mal, Marco, könntest du mir nicht ein Paar Schuhe machen? Vielleicht welche aus rotem Leder mit schwarzen Absätzen? Du musst einsehen, dass ich die Brautschuhe schlecht zu meiner neuen Ausstattung tragen kann.«
Er legte den Löffel beiseite und schaute mich mit großen Augen an. »Meinst du das im Ernst?«
»Ja, denk daran, ich habe heute Geburtstag.«
»Tut mir leid, aber das geht nicht. Du vergisst wohl, dass ich immer noch ein Studium zu absolvieren habe?«
Ja, dachte ich, ein Studium, dem du dich ganz offenbar zu wenig widmest, das aber immerhin noch gut genug ist, dir als Grund für eine Ablehnung zu dienen. Laut sagte ich: »Bitte, Marco.«
»Es geht nicht.«
»Schade.«
»Versteh doch.« Er griff nach meiner Hand. »Selbst wenn ich dir die Schuhe machen wollte, könnte ich es nicht. Meister Mezzarini, bei dem ich gearbeitet habe, ist tot, und seine Werkstatt ist schon seit langem geschlossen.«
»Ach so«, sagte ich, »dann geht es wohl nicht.«
»Sag mal, Carla« – Marco suchte nach Worten –, »deine neuen Kleider, der Wunsch nach Schuhen, äh, ich meine, das alles kommt doch nicht von ungefähr? Du hast nicht zufällig … jemand anderen?«
Fast musste ich lachen über seine abwegige Vermutung, aber ich blieb ernst und sagte. »Es gibt keinen anderen. Ich hatte einfach den Wunsch nach ein paar neuen Kleidern.«
»Dann ist es ja gut!« Erleichtert sprang er auf. »Bitte verstehe, dass ich jetzt gehen muss, trotz deines Geburtstages, aber es ist wichtig.«
»Sicher willst du das, was du heute im Archiginnasio gehört hast, in Ruhe repetieren?«
»Wie? Äh, nein.« Er zögerte. »Es ist ein kleiner Empfang, zu dem ich gehen muss. Die Eltern eines Kommilitonen haben Besuch aus Ferrara, ein kirchlicher Würdenträger von großem Einfluss, da kann ich nicht fehlen.«
»Ja«, sagte ich, und mein Herz zog sich zusammen, »das geht natürlich vor.«
»Nicht wahr, das siehst du doch ein?« Ohne meine Antwort abzuwarten, strebte er zur Tür.
»Arrivederci.«
Er küsste mich.
»Arrivederci.«
Ich küsste ihn ebenfalls und blickte ihn an.
Doch was ich sah, war nicht sein Gesicht.
Es war das Gesicht eines anderen.
Ein sehr männliches Gesicht.
Von nun an suchte ich, sooft es ging, den Dachboden über der
Scuola d’Aranzio
auf. Ich lernte, mich sicher im Halbdunkel zu
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