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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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blickenden Augen und die lange, kräftige Nase trugen das Ihre zu dem ansehnlichen Eindruck bei.
    Ich zwang meine Gedanken zurück zum Vortrag des Professors und konzentrierte mich auf seine Worte. »Nachdem wir nunmehr die wesentlichsten Teile des Herzens kennen, vieles über seine Kammern, Klappen, Höfe und Adern gehört haben und wissen, dass unser wichtigstes Organ im Allgemeinen nur die Hälfte eines Hundertstels des menschlichen Gewichts ausmacht, liebe
Studiosi,
solltet Ihr Euch die Einzelheiten gut einprägen, denn schon in der nächsten Lektion wollen wir den Hintergrund unseres neuen Wissens vertiefen. Ich erwarte, dass jeder von Euch einen Vortrag halten kann, nicht nur über das Herz an sich, sondern auch über seine transzendentale, seine nichtkörperliche Bedeutung, denn wie haben wir vorhin gelernt? Ohne das Herz wäre alles Übrige nichts. Dem Herzen steht eine philosophisch greifbare Bedeutung zu, womit ich abschließend bei dem von uns so verehrten Aristoteles wäre, der da sagte: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.«
    »So ist es«, pflichtete Tagliacozzi mit seiner festen, klaren Stimme dem Professor bei. »Und wenn Euch, liebe
Studiosi,
die Aufgabe als zu schwierig erscheint, nehmt einen anderen Satz des großen Aristoteles zum Trost: Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.«
    Einige der Jünglinge lachten. Ich sah, wie sie mit den Handknöcheln auf ihre Bänke klopften, und deutete dies als ein Zeichen des Beifalls. Die Ersten von ihnen standen auf und begannen, die Bänke und Pulte aus dem Raum zu tragen, während andere mit vereinten Kräften unter der Aufsicht des Prosektors die Leiche auf eine fahrbare Trage betteten und fortschoben. Professor Aranzio ging auf Doktor Tagliacozzi zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte etwas, das ich nicht verstand. Beide schmunzelten und steckten die Köpfe zusammen. Sie schienen die Studenten vergessen zu haben.
    Die Lehrstunde war vorbei.
    Nur schwer riss ich mich von dem Anblick unter mir los und trat hastig den Rückweg an.
    Ich hatte meine erste Lektion im Archiginnasio erlebt.
     
    Ich war kaum eine halbe Stunde zu Hause und noch immer in Gedanken bei den fesselnden Eindrücken, als es plötzlich klopfte und Marco in der Tür stand.
    Ich erschrak zu Tode, denn ich dachte, meine eigenmächtige Exkursion auf den Dachboden des Archiginnasios sei ans Licht gekommen und Marco stünde vor mir, um mich der hohen Gerichtsbarkeit zuzuführen, aber nichts dergleichen geschah. Er stand lediglich da, grinste in seiner üblichen Art und hielt die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
    »Was gibt es?«, fragte ich, nachdem ich mich von dem ersten Schrecken erholt hatte.
    »Ach, nichts.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Ich wollte dir nur sagen, ich bin mir durchaus bewusst, dass dies ein besonderer Tag ist.«
    Da konnte ich ihm nur beipflichten, aber ich beherrschte mich, ihm von meinen Erlebnissen zu erzählen. Ich war mir sicher, er hätte wenig Verständnis dafür gehabt. Stattdessen schaute ich ihn fragend an.
    »Herzlichen Glückwunsch!«, platzte er schließlich heraus. »Hier, nimm!« Er holte einen riesigen Strauß Rosen hinter seinem Rücken hervor und streckte ihn mir so stürmisch entgegen, dass ich unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich. »Wofür?«, fragte ich.
    Marco warf den Kopf zurück und lachte. »Nun hör aber auf, Carla, du willst doch nicht behaupten, du hättest deinen eigenen Geburtstag vergessen?«
    »Nein, äh … das heißt, es war ein ereignisreicher Tag. Vielen Dank für die herrlichen Blumen. Komm herein.« Ich hatte tatsächlich über den dramatischen Geschehnissen meinen Geburtstag vergessen, aber das musste ich Marco nicht unbedingt auf die Nase binden. Ich führte ihn in das Zimmer mit dem kleinen Esstisch und stellte die Rosen – es waren einundzwanzig – in eine Vase mit Wasser.
    »Gibt’s was zu essen?« Marco setzte sich an den Tisch. Er sah es inzwischen als Selbstverständlichkeit an, sich von mir bedienen zu lassen.
    »Nur, wenn du mir hilfst.«
    »Wenn’s sein muss.« Er bequemte sich, mit mir in die Küche zu kommen, wo ich ihn anwies, das Feuer zu schüren. Er stocherte in der Glut herum, während ich die Gemüsesuppe vom Tag zuvor mit Lauch, Polenta und Wirsing streckte. Dann warf er zwei Scheite ins Feuer und stellte fest: »Du hast ein neues Kleid.«
    »Das stimmt.« Ich war noch nicht dazu gekommen, mich umzuziehen. »Es ist mein Nibelungenkleid.«
    »Dein was?«
    »Mein

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