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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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fünfzehnten Januar 1540, einem Datum, das Ihr Euch merken solltet, denn es ging in die Annalen Bolognas ein: Früh am Morgen dieses denkwürdigen Tages begann der große Anatom Vesalius, der eigentlich Andries van Wesel hieß, weil seine Familie aus Wesel in Deutschland kam, in der Kirche San Francesco mit einer Reihe anatomischer Demonstrationen, die bis Ende des Monats andauerte und im Wechsel mit den Vorlesungen des Anatomen Matteo Corti stattfanden. Nun, daran mag nichts Besonderes sein, werdet Ihr vielleicht denken, doch die Veranstaltungen sind deshalb so bemerkenswert, weil sie den Zusammenprall der neuen mit der alten Anatomie markieren. Oder anders gesagt, liebe
Studiosi:
Die neue Art der Zergliederungskunst, die unvoreingenommen sucht, feststellt und Beschaffenheiten objektiv vergleicht, stieß auf die textgetreue Suche nach dem, was die Tradition verlangte. Hier der fünfundzwanzigjährige neugierige, unkonventionelle und renommierte Vesalius – dort Corti, bereits fünfundsechzig Jahre alt, der als überzeugter Galenist die von Galen beschriebene Anatomie als
perfectissima et absolutissima
für zuverlässiger hielt als die Informationen, die der Leichensektion zu entnehmen sind.«
    »Danke, mein lieber Dottore Tagliacozzi«, sagte Professor Aranzio und nahm den Faden wieder auf. »Kommen wir zurück zum Herzen und dem Blut, dem es den Vortrieb verleiht. Der genaue Weg, den das Blut im Körper nimmt, ist uns noch immer verborgen, trotz unserer Kenntnis der
fabrica
des Menschen, trotz unseres Wissens über die inneren Organe. Denn noch niemals gelang es, den Blutstrom in einem lebenden Leib zu beobachten. Kein noch so helles Licht, nicht einmal der glühende Ball der mittäglichen Sonne, vermag den Körper so zu durchleuchten, dass die Wanderung des Blutes sichtbar wird. In einem toten Leib aber steht der Blutstrom still. Das ist die Schwierigkeit, mit der wir es zu tun haben. Doch es wird der Tag kommen, an dem einer von uns, ihr lieben
Studiosi,
dieses Geheimnis erforschen und lüften wird, vielleicht sogar eines nicht mehr fernen Tages.«
    Professor Aranzio zog ein Tuch aus seinem Rock und tupfte sich damit die Stirn ab. Ihm war heiß, was sicher nicht nur an den vielen Menschen in dem kleinen Raum lag, sondern auch an den zahlreichen Licht spendenden Fackeln. Dann wandte er sich einer Schautafel zu, über deren Abbildungen mit Großbuchstaben PARTES CORDIS stand.
    »Lasst uns nun zum Aufbau des Muskels kommen, den wir Herz nennen: Wir unterscheiden zwei Kammern, die wir das linke und das rechte
ventriculum
nennen, und eine Scheidewand, das
septum,
dazwischen. Bei den Herzklappen wiederum …«
    Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt wie gebannt zugehört. Es war ein absolutes Hochgefühl für mich, dem Professor lauschen zu können, und jedes einzelne Wort prägte sich mir unauslöschlich ein. Während ich zum ersten Mal in meinem Leben den wahren Genuss des Lernens erlebte, beobachtete ich die Studenten, die sich nacheinander dem Holzbock näherten, das Herz nahmen und es begutachteten.
    Als Letzter trat ein junger Mann heran, der einen Kinnbart trug und ein Mondgesicht hatte. Beides kam mir bekannt vor, doch ich musste zweimal hinschauen, bis ich meinen Augen traute – es war tatsächlich Marco. Er bewegte sich mit der größten Selbstverständlichkeit unter seinen Kommilitonen, was mir zunächst seltsam vorkam, doch dann sagte ich mir, dass er ein junger Mann wie jeder andere war, und nahm dies zum Anlass, seine Nachbarn in den Sitzbänken näher zu betrachten. Sie waren alle jung, die meisten sogar um einiges jünger als Marco, und ihre Gesichter waren in Ausdruck und Mienenspiel sehr unterschiedlich, da sich nicht nur Italiener unter ihnen befanden, sondern, wie am Archiginnasio durchaus üblich, auch Studierende aus den Ländern jenseits der Alpen und sogar aus England.
    Und während Professor Aranzio seine Ausführungen unermüdlich fortsetzte, stellte ich fest, dass die meisten Gesichter jung und nichtssagend auf mich wirkten. Nur eines erschien mir außergewöhnlich, und dieses eine gehörte keinem Studenten. Es gehörte Doktor Tagliacozzi.
    Des Doktors Gesicht zu schildern fällt mir noch heute schwer. Wenn ich es mit einem Wort ausdrücken sollte, würde ich sagen, es war in erster Linie männlich, was aber nicht so sehr an dem schwarzen, weit ausladenden Knebelbart lag, sondern vielmehr an dem markanten Mund. Aber auch die gewölbten, buschigen Brauen mit den gelassen und selbstsicher

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