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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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verloren, sie trauerte auch um den letzten Spross ihrer Familie, um den Mittelpunkt ihres Lebens. Sie war es, die wahrhaft Grund zur Klage hatte, nicht ich.
    Dieser Gedanke gab mir Kraft. Ich setzte mich zu ihr aufs Bett und legte ihr den Arm um die Schultern. Eine ganze Weile saßen wir so da. Irgendwann versiegten ihre Tränen, und sie beruhigte sich. Ich ging hinüber in die Küche, wo ich ein wenig Lambrusco über dem Feuer wärmte. »Der Wein wird Euch guttun, Signora«, sagte ich zu ihr, als sie das Glas entgegennahm. »Ich selbst will auch ein wenig davon nehmen.«
    Wir tranken den Wein mit kleinen Schlucken, denn er war sehr heiß. Signora Carducci begann, stockend von Marco zu erzählen. Sie berichtete von seiner Kindheit und von kleinen, lustigen Begebenheiten, die sich in der Familie zugetragen hatten, damals, als ihr Mann noch lebte. Sie schilderte Marcos erste Geh- und Sprechversuche, berichtete, dass er ein ruhiges Kind gewesen sei, das frühzeitig gezahnt und ihr beim Stillen manches Mal weh getan habe. Sie kam auf Marcos Jugendjahre zu sprechen, erzählte dies und das und schwärmte von seiner guten Gesundheit. Bei diesem Gedanken übermannte sie die Erinnerung, und sie begann abermals heftig zu weinen. Ich wiegte sie in meinen Armen und tröstete sie.
    »Du bist ein gutes Mädchen«, sagte sie schniefend zu mir, »du wärst meinem Marco eine gute Frau geworden, so viel ist sicher. Aber nun ist der Todesengel zu ihm gekommen, und ich bin ganz allein.«
    »Nein, Signora«, sagte ich, »niemand auf dieser Welt ist allein, wenn er Gott im Herzen trägt, auch Ihr werdet das noch erfahren.« Und ich glaubte in diesem Moment an meine Worte, weil ich sie glauben wollte.
    »Du bist ein gutes Mädchen.«
    »Bitte, Signora, sagt das nicht immer.«
    »Aber warum denn nicht? Ich habe manchmal gedacht, es läge an dir, dass es mit der Hochzeit so lange nicht geklappt hat, aber nun denke ich anders.«
    »Wollt Ihr noch ein wenig Wein, Signora?«
    »Nein danke, Kind. Ich glaube, ich gehe jetzt. Ich will zu San Rocco und dort für meinen Marco beten und eine Kerze anzünden. Pater Edoardo hält die Kirche Tag und Nacht geöffnet. Willst du nicht mitkommen, vielleicht haben wir Glück, und Hochwürden ist da?«
    »Nein.«
    »Wirklich nicht?« Signora Carducci schaute mich besorgt an. »Es würde auch dir sicher helfen, mit dem Allmächtigen zu sprechen.«
    »Ich habe den Hausaltar von meiner Mutter. Ich möchte lieber hierbleiben.«
    »Natürlich, Kind, das verstehe ich. Ich gehe dann. Hab Dank für deinen Trost.« Sie küsste mich auf die Wange und verschwand in die Nacht.
    »Arrivederci,
Signora«, sagte ich.
     
    Erst am nächsten Morgen, nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht, gesellte sich zu meiner Trauer die Angst. Der Gedanke, einer von Marcos Kommilitonen könne mich bei nächster Gelegenheit auf der Straße erkennen, schlug bei mir ein wie der Blitz. Ich sprang aus dem Bett und lief unruhig in meinem Haus umher. Wie war die Situation in der Hofloggia gewesen? Marco hatte reglos dagelegen und für einen langen Augenblick die Aufmerksamkeit aller auf sich gelenkt. Und danach? Was war danach passiert? Wie groß war die Entfernung zwischen mir und den Verfolgern gewesen?
    Hatte man mich wirklich nicht erkannt?
    Nein, wohl kaum, beruhigte ich mich. Ich hatte noch immer mein Barett getragen – mein Barett mit dem Schleier, der meine Gesichtszüge verbarg. Diejenigen, die schuld an dem Unglück waren, hatten viel mehr zu befürchten als ich.
    Aber was war aus meiner Hutnadel geworden? Ich versuchte, mir die Situation in der
Scuola d’Aranzio
zu vergegenwärtigen und kam zu dem Schluss, dass Doktor Tagliacozzi sie haben musste; jedenfalls war er es gewesen, der sie zuletzt in der Hand gehalten hatte. Konnte die Nadel mich verraten? Abermals nein. Der Doktor wusste nicht, dass es meine war. Und überdies kannte er mich nicht. Er war mir nie begegnet, und ich würde dafür sorgen, dass es auch so blieb.
    Ich unterbrach meine rastlose Wanderung und setzte mich an den kleinen Tisch. Ich aß eine Kleinigkeit, ohne zu merken, was ich zum Munde führte, und überlegte, wie ich gefahrlos des Doktors Vorlesungen weiterverfolgen könne. Doch ich kam mit meinen Gedanken nicht recht voran. Immer wieder musste ich an mein Barett mit dem Schleier denken. Der Schleier war ein auffälliges Kleidungsstück, das nur wenige Frauen in Bologna trugen, wenn man von Bräuten und Nonnen einmal absah. Es war ein Kleidungsstück,

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