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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Westen an, bevor ich mich an die Aufgabe mache. Ihr verwahrt sie doch sicher im Archiginnasio. Lasst uns hineingehen, damit ich sie mir ansehe.«
    »Das ist unmöglich.« Die Antwort des Doktors kam schnell und bestimmt. »Ihr seid zwar eine Nonne, Schwester Carla, und habt als solche einen besonderen Stand, aber letzten Endes seid Ihr nur eine … äh, ich meine, auch Ihr seid eine Frau, und weiblichen Personen ist der Zutritt zu den Stätten der Forschung und Lehre nicht gestattet.«
    »Dann macht eine Ausnahme.«
    »Ich, eine Ausnahme? Ihr überschätzt meine Befugnisse. Wenn überhaupt, müsste der Generalvikar des Erzbischofs, Hochwürden Giovanni Andrea Caligari, seine Zustimmung erteilen, er ist gleichzeitig Kanzler aller Professoren und Studenten am Archiginnasio, aber ich glaube, der gegebene Anlass wäre denn doch zu gering, um ihn zu behelligen.«
    Der Meinung war ich nicht unbedingt, aber ich sagte dazu nichts, sondern antwortete: »Ohne Westen kann ich nichts machen, Dottore, das wäre so, als wolle ich eine Leiche ohne Leiche sezieren.«
    »Oho, Schwester, es scheint, als wärt Ihr nicht auf den Mund gefallen! Aber was Ihr sagt, stimmt natürlich. Ich werde also ein paar ausrangierte Westen zu Euch ins Kloster schicken lassen.«
    »Nein.«
    »Nein? Warum nicht? Ihr könnt sie Euch doch nicht hier auf der Straße angucken?«
    »Nein … ich möchte sie im Haus meiner Mutter ansehen.«
    »Wo ist das?«
    »In der Strada San Felice.«
    »Einverstanden, und was passiert, wenn Ihr das getan habt?«
    »Werde ich Verbesserungsvorschläge machen.«
    »Wo? Ebenfalls im Haus Eurer Mutter? Erwartet Ihr, dass ich Euch dort aufsuche?«
    »Nein … natürlich nicht.« Der Gedanke, Signora Carducci könne Doktor Tagliacozzi in meinem Haus aus und ein gehen sehen, war mir unerträglich.
    »Wie stellt Ihr Euch die Sache dann vor?«
    »Ich … ich …«
    »Vermute ich richtig, dass Ihr Euch darüber noch keine Gedanken gemacht habt?«
    »Ja … ich meine, nein …« Ich hätte heulen können vor Wut. Ausgerechnet jetzt, da ich den Doktor da hatte, wo ich ihn haben wollte, drohte meine Idee, der Wissenschaft und Forschung durch die Entwicklung einer Weste wieder näherzukommen, kläglich zu scheitern.
    »Dann werde ich Euch sagen, wie wir es machen: Ich lasse Euch die drei oder vier Westen, die der Pedell in Verwahrung hält, nach Hause schicken. Dort könnt Ihr Aufbau und Zuschnitt studieren, und in einer Woche sagt Ihr mir, was Ihr anders – und hoffentlich besser – machen würdet.«
    »Ja, Dottore!« Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen.
    »Va bene,
ich erwarte Euch dann am nächsten Donnerstag, sagen wir um diese Zeit, in der Via delle Lame.«
    »In der …?«
    »Ach so, Ihr kennt meine Adresse ja nicht. Mein Haus ist das dritte vor der Porta delle Lame, auf der rechten Seite gelegen. Es ist gar nicht zu verfehlen. Und nun entschuldigt mich, ich bin etwas in Eile.« Er verbeugte sich knapp und eilte in Richtung Piazza Maggiore davon.
    »Ja«, sagte ich verdattert, »ja, gern, Dottore.«
     
    Tatsächlich erschien noch am selben Abend ein Bote des Archiginnasios und übergab mir einen großen Ballen aus Sackleinen. Ich öffnete die Verschnürungen und schaute neugierig hinein, doch leider fand sich darin keinerlei Nachricht von Doktor Tagliacozzi. Ich schluckte die Enttäuschung hinunter und sagte mir, dass er keinen Anlass für weitere Mitteilungen gehabt hatte, da ja alles Wesentliche zwischen uns besprochen war.
    Dafür fand ich vier Westen vor, die alle sehr gebraucht aussahen. Es waren Maßanfertigungen aus Leinen, wie ich sofort feststellte. Der Schnitt glich dem eines Wamses, nur dass die Westen keine Röhrenfalten aufwiesen, sondern glatt waren.
    Nach diesem ersten Eindruck beschloss ich, mich vor der Arbeit mit einer Kleinigkeit zu stärken, denn ich wusste, diese und die kommenden Nächte würden lang werden. Ich ging in die Küche und blickte wie so oft in einen leeren Vorratsschrank. Nur ein paar Eier hatte ich noch und einige Reste. Daraus machte ich mir
uovo strapazzato
nach dem Rezept meiner Mutter: Ich schlug die Eier auf, verrührte sie mit etwas Wasser und Milch und streute Salz und geriebenen Parmesan hinein. Da ich die Eierspeise gern grün mochte, gab ich ein paar fein gehackte, gedünstete Kräuter dazu. Ich nahm, was vorhanden war: Balsamkraut, Salbei und etwas Saft der rauhblättrigen Ochsenzunge. Ich rührte immer wieder um, damit die Masse nicht zu dick wurde, und setzte

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