Die Medica von Bologna / Roman
gewebten Teppichen behängt, deren Motive den Ablauf der Seidenherstellung darstellten, angefangen von der Raupe über die einzelnen Verarbeitungsstufen des Fadens bis hin zum Webstuhl und der Abbildung eines leuchtend blauen Baldachins mit Stadtwappen – stellvertretend für alle Seidenprodukte Bolognas. Für die einzige Unterbrechung des Ablaufs sorgte ein Kamin, auf dessen Sims ein Dutzend kleine Terrakottafiguren standen. Ich sah näher hin und erkannte, dass es sich bei den Figuren um Nasen handelte. Menschliche Nasen in jeder Größe und Form. Das verblüffte mich so, dass ich aufstand und näher herantrat. Ich nahm eine der rötlich braunen Nasen und betrachtete sie eingehend. Kein Zweifel, der Erschaffer dieses Gebildes war mit Liebe und Genauigkeit zu Werke gegangen.
»Ich sehe, Ihr wisst meine Kunstbemühungen zu würdigen, Schwester.«
Ich fuhr herum und erkannte den Hausherrn. Es war mir etwas peinlich, dass er mich in meiner Neugier ertappt hatte, doch er kam lächelnd auf mich zu und nahm mir die Figur aus der Hand. »Sicher fragt Ihr Euch, welche Bewandtnis es mit den Nasen hat. Nun, es sind die Nasen meiner Patienten, oder besser: Die Nasen, die ich ihnen als neue Gesichtszier vorschlug, bevor ich sie
in natura
zu modellieren versuchte.«
Noch immer etwas verlegen, fragte ich: »So sind dies alles Vorlagen für die spätere Rekonstruktion?«
Doktor Tagliacozzi nickte. »Genauer gesagt sind es Vorlagen für die Schablonen, die aus dem Hautlappen des Oberarms die Nase formen sollen.«
»Eine Nase aus dem Hautlappen des Oberarms?« Ich gab mich unwissend.
»Das zu erklären würde ein Buch füllen, Schwester. Lassen wir es dabei, dass die Terrakottanasen als Vorlage für die
tectoria,
also für die Schablonen, dienen.«
»Gewiss«, sagte ich und tat verständnisvoll. »Aber wenn ich richtig nachgezählt habe, sind es nur zwölf Nasen, die Ihr als Vorlagen gefertigt habt. Die menschliche Nase aber ist doch tausendmal vielfältiger?«
Doktor Tagliacozzi setzte wieder die amüsierte Miene auf, die ich schon kannte. »Ihr scheint alles ganz genau wissen zu wollen, Schwester. Aber sei’s drum, ich wünschte mir, manche meiner Studenten wären so wissbegierig. Die Zahl Zwölf genügt durchaus, um sämtliche Nasen dieser Welt in ihrer Form zu erfassen. Sie leitet sich ab aus der Zahl Drei, die uns in der christlichen Dreifaltigkeit begegnet, und multipliziert sich mit der Vier, entsprechend den Jahreszeiten oder den Altersstufen des Menschen. Heraus kommt die Zahl Zwölf, die wiederum der Zahl der Apostel entspricht.«
Ich wollte einwenden, dass es mir wenig logisch vorkam, den Zusammenhang zwischen all den Zahlen und einer Nase herzustellen, doch ich schwieg. Stattdessen sagte ich: »Das hört sich kompliziert an, Dottore.«
»Bevor ich näher darauf eingehe, lasst mich versuchen, ein leidlicher Gastgeber zu sein.« Doktor Tagliacozzi rief nach Adelmo und orderte Gebäck und Wein. Nachdem der Diener das Gewünschte gebracht hatte, setzten wir uns. Der Doktor hob sein Glas und prostete mir zu, wobei er mich wieder eingehend musterte.
»Salute,
auf die Gesundheit, Schwester.«
»Auf die Gesundheit, Dottore.«
Wir tranken, und er fuhr fort: »Ihr sagtet eben, meine Ausführungen zur Nase hörten sich kompliziert an, nun, ich will Euch sagen, warum sie keineswegs einfach sein können. Die Nase ist das herausragendste Merkmal des Gesichts, was Ihr sogar wörtlich nehmen könnt. Ihm kommt im Zusammenspiel des gesamten Körpers eine besondere Rolle zu. Zum Gesicht gehören die lebenswichtigen Organe, die dem Menschen nicht nur das Sehen, Hören und Sprechen ermöglichen, sondern auch das Riechen, Schmecken und Essen.«
»So habe ich das noch nicht bedacht, Dottore.«
»Außerdem verrät das Gesicht Alter, Geschlecht und sogar die Herkunft einer Person. Denkt an seinen Ausdruck, an dem sich vieles, manchmal sogar alles ablesen lässt. Wer hinzusehen vermag, dem verrät es, ob sich ein guter oder schlechter Mensch dahinter verbirgt, ein fröhlicher oder ein trauriger, ein ernsthafter oder ein leichtfertiger. Glaubt mir, das Gesicht spiegelt die Seele wider.«
»Das glaube ich«, sagte ich und musste an meine eigenen Beobachtungen denken, die ich im Schutz meines Schleiers gemacht hatte.
»Am Gesicht kann der Arzt Hinweise auf Krankheiten ablesen. Es dient dem Heilkundigen als diagnostisches Mittel, sofern er in der Lage ist, die Zeichen zu lesen. Denkt nur an ein gelbes Gesicht, das uns eine
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