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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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»Ruhe, liebe
Studiosi,
geht nach Hause und schaut in Eure Bücher. Morgen werden wir sehen, ob sich der zusätzliche Unterricht für Euch gelohnt hat.«
    »Arrivederci,
Dottore«, klang es von verschiedenen Seiten, und die jungen Herren trollten sich.
    Ich sah es mit Erleichterung.
    »Nun, Schwester Carla, was ist so wichtig, dass es ein Gespräch unter vier Augen erfordert?«
    Hundertmal hatte ich mich in Gedanken auf diese entscheidende Frage vorbereitet und die passendsten, treffendsten und überzeugendsten Antworten darauf gefunden, doch jetzt waren sie alle wie weggeblasen. Ich druckste herum und stieß schließlich nur zwei armselige Wörter hervor: »Die Weste.«
    »Die Weste? Ich kann Euch nicht ganz folgen.«
    »Die Weste, die bei der Nasenrekonstruktion Verwendung findet.«
    »Aha. Um die geht es also.« An seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er mich nicht mehr ganz ernst nahm.
    Ich biss mir auf die Lippen und ärgerte mich über meinen jämmerlichen Auftritt. »Ich weiß, dass es manchmal Probleme mit der Weste gibt, Dottore. Sie wird von den Patienten als Zwangsjacke erlebt, sie zwickt und hinterlässt zweifellos Druckstellen und Hämatome. Ich denke, zur Verbesserung des medizinischen Ergebnisses ist auch eine Verbesserung der Weste notwendig.«
    »Ihr erstaunt mich. Woher kennt Ihr die zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten mit der Operationsweste, und warum sprecht Ihr sie an?«
    »Ich habe durch einen Studenten namens Marco Carducci von den Schwierigkeiten gehört«, log ich und hoffte, ich würde überzeugend klingen. »Er bewohnte eines der Nachbarhäuser neben dem meiner Mutter. Leider soll er vor kurzem tödlich verunglückt sein.«
    »Ja, das stimmt.« Auf des Doktors Gesicht fiel ein Schatten. »Er war ein netter Junge, als Student schon fast etwas alt. Ich mochte ihn, auch wenn sein Mundwerk manchmal größer war als sein Fleiß.«
    »Wie ist er denn zu Tode gekommen?« Ich stellte meine Frage so unbefangen wie möglich und wartete gespannt auf die Antwort.
    »Habt Ihr die Geschichte denn nicht gehört? Die halbe Stadt spricht davon. Der Vorfall ist seltsam und tragisch zugleich. Irgendjemand hielt sich auf dem Dachboden über der
Scuola d’Aranzio
auf
,
das ist der Ort, an dem ich meistens Unterricht erteile, und hat meine Schüler und mich aus der Höhe beobachtet. Durch einen Zufall wurden wir auf den Frevel aufmerksam, und meine Studenten wollten den Übeltäter stellen. Bei seiner Verfolgung gab es ein solches Gedränge, dass Marco über die Brüstung der Hofloggia fiel.«
    »Friede seiner Seele«, murmelte ich und schlug rasch das Kreuz. »Ich werde für ihn beten. Habt Ihr denn gar keine Vermutung, wer der heimliche Beobachter war?«
    »Nein, Schwester, wir tappen alle im Dunkeln. Es gibt zwar Hinweise, dass der Täter weiblich gewesen sein könnte, aber daran glaube ich nicht. Es verlangte sehr viel Mut und Geschick, auf den Dachboden zu klettern, mehr, als einer schwachen Frau zuzutrauen ist.«
    Am liebsten hätte ich ihn eines Besseren belehrt, aber ich überging seine Bemerkung. Ich fühlte grenzenlose Erleichterung, und es sang laut in mir: Sie haben keine Ahnung, wer es war, sie tappen alle im Dunkeln, sie werden es nie herausfinden! Doch Doktor Tagliacozzi holte mich rasch auf den Boden der Tatsachen zurück, indem er fragte: »Hat es einen besonderen Grund, warum ihr die Mängel der Operationsweste ansprecht, Schwester?«
    Ich straffte mich. »Ja, Dottore.«
    »Und darf man fragen, welchen?«
    »Ich könnte Euch eine bessere Weste machen.«
    Wieder schien der Doktor amüsiert zu sein. »Und wie wollt Ihr das fertigbringen als Nonne?«
    »Ich habe das Schneiderhandwerk gelernt, bevor ich nach San Lorenzo ging.«
    »Aha.« Zum ersten Mal schien mein Gegenüber wirklich interessiert. »Meint Ihr wirklich, dass Ihr das könnt? Es haben sich schon zahlreiche Nadelkünstler an dieser Aufgabe versucht, und alle sind letztendlich gescheitert. Keine noch so genaue Maßanfertigung konnte daran etwas ändern. Warum soll ausgerechnet Euch gelingen, was andere nicht geschafft haben?«
    »Ich schaffe es«, sagte ich. »Lasst es mich versuchen.«
    »Hm.« Doktor Tagliacozzi rieb sich das Kinn, während ich gespannt auf seine Entscheidung wartete. »Nun ja, mehr als scheitern kann der Versuch nicht. Ich sage immer, man muss allem Neuen gegenüber aufgeschlossen sein, deshalb bin ich einverstanden. Wie wollt Ihr vorgehen, Schwester?«
    »Ich dachte, ich schaue mir eine Reihe ausgedienter

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