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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zwischen Weihnachten und Neujahr, da erschienen plötzlich die Mutter Oberin und Professor Aranzio im Krankensaal. Ich hielt den Atem an und hätte fast die Suppe, die ich einem Fiebernden gab, verschüttet, denn ich dachte, wo der Professor ist, kann sein Freund, der junge Doktor Tagliacozzi, nicht weit sein. Doch ich wurde enttäuscht. Die Oberin und der Professor waren allein – und blieben es auch, während sie die Betten langsam abschritten und aufmunternde Worte für die Patienten fanden.
    Neben der Krankenfürsorge im Hospital fielen im gesamten Klostergelände Pflege-, Wartungs- und Putzarbeiten an, die es mit sich brachten, dass ich fast täglich an anderer Stelle tätig werden musste. Ich war in der Wäscherei, in der Schneiderei, in der Werkstatt, in der Küche, in der Bibliothek, ich war überall – und doch war ich nirgendwo, denn in Gedanken befand ich mich stets in dem prunkvollen terrakottafarbenen Haus bei Doktor Tagliacozzi und maß seinem Patienten meine Kapuzenweste an. Ich brannte darauf, meine Erfindung in der Praxis ausprobieren zu können, und hatte alle Mühe, mich auf das Einerlei des Hospitaldienstes zu konzentrieren.
    Endlich, man schrieb schon Februar 1574, stand an einem windigen Abend der Bote wieder vor meinem Haus. Die Nachricht, die er mir überbrachte, war ebenso kurz wie erfreulich:
    Es ist so weit, findet Euch morgen zur fünften Nachmittagsstunde in der Via delle Lame ein.
    G. T.
    Ich war glücklich und konnte die Zeit bis zu dem Treffen kaum abwarten. Am anderen Tag begrüßte Adelmo mich mit ernster Miene. »Guten Tag, Schwester Carla«, sagte er. »Darf ich Euch bitten, mir zu folgen.« Wieder trippelte er vor mir her, doch diesmal führte er mich nicht die Treppe hinauf, sondern in einen ebenerdig gelegenen Raum ganz in der Nähe des Eingangs. Der Raum war hell und licht, aber gänzlich schmucklos. Ein Bett stand darin, und in diesem Bett saß ein Mann. Er mochte Ende dreißig sein, denn sein Gesicht war nicht mehr das eines jungen Mannes. Zwischen den Augen und dem Mund befand sich statt der Nase nur ein Stumpf mit zwei ungleichmäßigen Löchern. Es war kein schöner Anblick. Um meine Verlegenheit zu überspielen, stellte ich mich vor: »Ich bin Carla Castagnolo«, sagte ich und fügte den Satz an, der in allen Hospitälern als Erstes an die Patienten gerichtet wird: »Wie geht es Euch heute?«
    »Ganz gut«, brummte er, »wenn nur die verdammte Untätigkeit nicht wäre.«
    »Ja, so eine Nasenrekonstruktion ist langwierig.« Da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte, setzte ich mich an den Bettrand und fühlte ihm den Puls. Er war regelmäßig. Den Puls am anderen Handgelenk konnte ich nicht nehmen, da sein Arm ausgestreckt auf einer mit geometrischen Ornamenten geschmückten Blumensäule ruhte. Ich sah, dass die Innenseite des Oberarms zwei längslaufende Einschnitte aufwies. Sie bildeten einen brückenförmigen Hautlappen, der oben und unten noch mit der Haut des Arms verbunden war. Ein Leinenstreifen war unter dem Lappen hindurchgezogen und auf der anderen Seite verknotet worden. Es sah aus, als trüge der Mann eine weiße Armbinde. »Ich heiße Silvestro Badoglio.«
    »Meinen Namen kennt Ihr ja bereits.«
    »Bin Landvermesser von Beruf.«
    »Das stelle ich mir interessant vor.«
    »Ist es nicht.«
    »Ach, wirklich?«
    »Über nichts streiten die Leute so sehr wie über die Aufteilung von Land.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Ist aber so.«
    »Wenn Ihr es sagt.«
    »Muss noch sieben Tage warten, bis es endlich weitergeht mit der Nase.«
    »Wie ist es denn zu der Verstümmelung gekommen?«
    »Überfall.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ja, ja.«
    Das holprige Gespräch wurde unterbrochen durch das Erscheinen von Doktor Tagliacozzi, der an diesem Tag wieder Schwarz trug, allerdings mit einem rosafarbenen Spitzenkragen über dem Wams, was ihn nicht ganz so würdig wie sonst erscheinen ließ. »Wie ich sehe, habt Ihr Euch schon miteinander bekannt gemacht«, rief er leutselig. »Wie geht es Euch heute, Signore?«
    »Ganz gut, Dottore, wenn nur die verdammte Untätigkeit nicht wäre.«
    »Ja, ja, die Untätigkeit, sie ist neben den Schmerzen das größte Übel bei der Behandlung.«
    »Signore Badoglios Puls ist normal«, warf ich ein.
    Der Doktor wirkte für einen Augenblick erstaunt. Vielleicht hatte er vergessen, dass ich nicht nur Schneiderin, sondern auch Pflegerin in einem Hospital war. Doch er fing sich schnell und sagte: »Schwester Carla ist mir eine große

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