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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Hilfe. Sie wird gleich Euren Oberkörper vermessen, Signore, damit die Kapuzenweste für Euch angefertigt werden kann.«
    »Kapuzenweste?«, fragte Badoglio misstrauisch.
    »Ich erklärte Euch doch schon, Signore, dass eine Weste für den Dritten und Vierten Akt der Behandlung vonnöten ist.«
    »Ja, aber sieben Tage dauert’s noch, dass ich den Streifen durch meinen Arm tragen muss. Das habt Ihr selbst gesagt, Dottore, geht das nicht schneller?«
    In des Doktors Augen glomm ein Funke Unmut auf. »Alles braucht seine Zeit. Wie ich Euch bereits sagte, durchläuft der Hautlappen an Eurem Oberarm einen Reifeprozess, der den vier Altersstufen des Menschen vergleichbar ist. Der Prozess beginnt mit der
pueritia,
der Zeit unmittelbar nach der Herauslösung, in der ein Leinenstreifen durch den Hautlappen gezogen wird, damit dieser sich entzünde und – unterstützt durch Umschläge und Salben – eine gutartige Eiterung entwickle. Was folgt, ist
eductio,
wenn die Wunde auszutrocknen beginnt, sodann die Übernarbung,
adolescentia
gerufen, die in der
Aetas
virilis
fortschreitet, woraufhin
senectus
den Abschluss bildet, wenn der Lappen trocken und welk wird. Aber so weit ist es bei Euch noch nicht. Fasst Euch bitte in Geduld. Ich habe Euch eindringlich bei Beginn der Behandlung auf die Dauer und auf die Gewalt der Operation hingewiesen. Denkt immer daran, welch ein Lohn Euch am Ende winkt.«
    »Ja, Dottore.« Badoglio wirkte gottergeben.
    »Und nun wird Schwester Carla Eure Maße für die Anfertigung der Kapuzenweste nehmen.«
    »Ja, Dottore.«
    »Schwester Carla, ich brauche die Weste genau in einer Woche. Könntet Ihr es einrichten, dann vormittags hier zu erscheinen?«
    »Ich denke, das wird mir gelingen, nur meinen Vormittagsdienst im Hospital müsste ich später nachholen, aber ich bin sicher, die Mutter Oberin wird dazu ihre Einwilligung geben.«
    »Va bene!
Dann sehen wir uns zum abgemachten Zeitpunkt. Entschuldigt mich jetzt, ich bin etwas in Eile.«
    Er nickte mir und Badoglio zu und verließ rasch den Raum.
    Wir guckten beide etwas überrascht, aber ich tat so, als wäre des Doktors Verhalten die selbstverständlichste Sache von der Welt, und erledigte meine Arbeit. Und während ich sorgfältig die Maße von Signore Badoglio nahm, versuchte ich, die leise Verärgerung über das Benehmen des Doktors zu unterdrücken.
     
    Meine Verstimmung begleitete mich noch die ganze Woche über. Zwar sagte ich mir, dass Doktor Tagliacozzi sicher gute Gründe für sein rasches Verschwinden gehabt hatte, aber ich fand, er hätte wenigstens bis zum Ende des Maßnehmens warten können. Schließlich hatte das Ganze kaum eine Viertelstunde gedauert, und ich war extra deshalb zu ihm gekommen.
    Andererseits, sagte ich mir, war er ein vielbeschäftigter Mann, und er hatte sich entschuldigt. Was also wollte ich! Ich wusste nicht, was ich wollte, und versuchte, meine ganze Aufmerksamkeit auf die Anfertigung der Kapuzenweste zu richten. Nach vier Tagen war ich bereits fertig, hatte aber Bedenken, dass sie auf Anhieb passen würde. Keine Schneiderarbeit kommt ohne eine Anprobe aus, sagte ich mir, und die neue Kapuzenweste macht da sicher keine Ausnahme.
    Deshalb packte ich mein Werk kurz entschlossen in den Weidenkorb und machte mich auf den Weg zu dem terrakottafarbenen Haus. Ich schlug einen großen Bogen um die Kirche San Rocco, die auf meinem Weg lag, und hoffte, als ich vor dem Haus stand, Doktor Tagliacozzi anzutreffen.
    Doch leider war er nicht da.
    So musste ich die Anprobe ohne ihn vornehmen. Wenigstens zeigte sich Signore Badoglio etwas gesprächiger. Er erzählte mir, wie es zu dem Überfall auf ihn gekommen war. Er hatte sich im Stadtteil San Tommaso aufgehalten, um Freunde zu treffen und ein wenig zu feiern. Beschwingt hatte er sich zu vorgerückter Stunde auf den Heimweg gemacht, als plötzlich mehrere Vermummte aus einer Seitengasse stürzten und über ihn herfielen. Augenblicklich hatten sie ihn überwältigt, zu Boden gerissen, getreten und seines Geldes beraubt. Das alles war abscheulich, aber kaum außergewöhnlich, denn es kam auf den nächtlichen Straßen Bolognas häufig vor. Wirklich schlimm war, dass er ihnen, als sie mit ihm fertig waren, wütend ein paar saftige Schimpfwörter hinterhergerufen hatte. Da waren sie umgekehrt, und der Größte von ihnen hatte seinen Dolch gezückt und ihm mit einem einzigen Hieb die Nase abgeschlagen. Sie hatten das blutige Stück lachend unter ihren Absätzen zerquetscht und sich

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