Die Medizinfrau
Baron?«
Margaret Norton schürzte die Lippen und blickte ihre Freundin erwartungsvoll an. »Ich frage dich, Cornelia, was mache ich mit Olivia Baron?«
Henry Shrine, aus dem Hinterzimmer seines Ladens kommend, enthob die Angesprochene einer Antwort. Lächelnd begrüßte er die Damen. »Guten Tag, Mrs. Norton, Mrs. Stanwick. Kann ich den Damen behilflich sein?«
»Ach ja, Henry.« Margaret öffnete ihr Retikül und entnahm ihm einen Zettel. »Hier meine Einkaufsliste. Ihr Junge soll die Sachen noch heute nachmittag liefern. Meine Dienstboten müssen mit den Vorbereitungen für das Hauskonzert beginnen, das morgen bei mir stattfindet. Ich hoffe, Sie und Ihre liebe Frau haben meine Einladung erhalten.«
»Penelope freut sich schon sehr auf den Abend. Ich muß leider zu einer Versammlung der Loge.«
»Verständlich, daß Sie ein Treffen der Freimaurer nicht versäumen wollen.«
Margaret warf ihrer Freundin Cornelia einen vielsagenden Blick zu. Männer waren so stillos. Wie konnte der Mann nur einen lärmenden Abend im rauchigen Saal der Freimaurerloge der kultivierten Atmosphäre ihres Hauskonzerts vorziehen; ihr Cousin Edgar aus Pennsylvania würde Musikstücke für Pikkoloflöte zum Vortrag bringen. Da Henry Shriner dem Thema Olivia Baron wenig Verständnis entgegenbringen würde, wartete Margaret ab, bis der Mann sich entfernte.
Cornelia freilich war zu sehr an Einkäufen interessiert. »Wie ich höre, haben Sie neue Hüte hereinbekommen, Mr. Shriner.«
»Ja, Mrs. Stanwick. Eine schöne Auswahl ist soeben aus Helena eingetroffen. Sie finden die neue Kollektion hinter der Stoffabteilung, im Regal vor den Schaufeln und Pickeln. Wenn die Damen mich entschuldigen. Falls Sie etwas brauchen, rufen Sie mich. Ihre Lebensmittel werden wunschgemäß geliefert, Mrs. Norton.« Er wandte sich ab, um einen Mann zu begrüßen, der soeben den Laden betreten hatte und einen Schwall kalter Luft mit hereinbrachte.
Margaret zog ihren Mantel enger um die Schultern und warf der Freundin einen strengen Blick zu. »Cornelia! Hilf mir lieber zu überlegen, wie ich mich Olivia Baron gegenüber verhalten soll, statt dir Hüte anzusehen.«
»Ich sagte doch schon, Liebste, ich bin völlig überfragt.«
»Sie ist zu Gast bei einer der ersten Familien der Stadt. Wenn ich sie nicht einlade, beleidige ich damit vielleicht Mrs. Talbot. Dann säße ich schön in der Tinte.«
»Ja, das würdest du.«
»Wenn ich sie aber einlade, achtet niemand auf die musikalischen Darbietungen. Alle werden sie angaffen.«
»Ja, das stimmt. Eine schwierige Situation. Sieh mal.« Cornelia nahm eine Flasche aus einem Glaskasten. »Hooflands naturreiner Magenbitter. Denkst du, der könnte mein Magendrücken lindern?«
»Cornelia, du hörst mir ja gar nicht zu«, schalt Margaret. »Es ist mir unbegreiflich, wie eine Frau den Beruf einer Ärztin erwählen kann. Es ist doch nicht so, daß Miß Baron keine Vorzüge hätte. Im Gegenteil. Mrs. Talbot sagte mir, ihre Familie besitze ein angesehenes Bankhaus in New York. Und sie sieht recht passabel aus. Zugegeben, sie ist keine umwerfende Schönheit. Aber ich bin sicher, sie hätte einen Ehemann gefunden, wenn sie ihre Energie darauf verwendet hätte, ihre Weiblichkeit zu unterstreichen, statt sich mit Dingen zu beschäftigen, die Männersache sind. Es ist unnatürlich! Genau, das ist es!«
»Du hast völlig recht, Margaret, wie immer.«
»Wäre sie nicht eine gute Freundin von Amy Talbot, würde ich mir keine Gedanken über die Person machen, das kannst du mir glauben. Ich werde sie wohl einladen müssen. Ich möchte Mrs. Talbot nicht verärgern, in ihrem Zustand könnte ihr jede Aufregung schaden.«
»Ich denke, ich nehme dieses Tonikum. Auf die Tinktur von Lydia Pinkham spricht mein Magen nicht mehr an wie anfangs.«
Margaret seufzte. »Tu das, meine Liebe. Aber nun beeil dich. Ich muß nach Hause. Mr. Shriner!« Sie erhob die Stimme, um die Aufmerksamkeit des Ladenbesitzers von dem neuen Kunden abzulenken. »Ich kann mich doch darauf verlassen, daß die Sachen heute nachmittag geliefert werden.«
»Gewiß, Mrs. Norton.«
»Sehr gut. Komm, Cornelia. Es ist spät geworden.«
»Aber die Hüte!«
»Beim nächsten Mal, Liebste. Wirklich! Es gibt so viel zu tun.«
Hinter dem Stoffregal zuckte Amy Talbot zusammen, als die Tür hinter den beiden Matronen ins Schloß fiel. »Olivia, es ist mir so peinlich. Ich entschuldige mich für die alten Klatschtanten. Wir gehen auf keinen Fall zu ihrem
Weitere Kostenlose Bücher