Die Medizinfrau
allerdings, daß für den Wallach und für die Unterkunft von Danahers Pferd bezahlt worden war – und zwar in Rohsilber. Vermutlich ist Danaher dort oben in den Bergen auf eine fündige Silbermine gestoßen.«
Amys Augen weiteten sich. »Und du glaubst, Mr. Danaher hat Olivia mitgenommen und brauchte ein Pferd für sie? Aus welchem Grund?«
»Weil er einen Doktor brauchte. Er wußte, daß sie Ärztin ist. Sie hat ihn doch damals behandelt, als er aus der Bar geworfen wurde.«
»Glaubst du, sie lebt?«
»Wenn er sie mitgenommen hat, glaube ich nicht, daß er ihr etwas antut – außer vielleicht …«
Amy wußte, was Sylvester nicht über die Lippen brachte. Die arme Olivia war möglicherweise in schlimmster Weise kompromittiert worden. Immer noch besser als der Tod, wenngleich eine echte Dame den Tod einer solchen Schande vorziehen sollte.
»Wenn dieser Mann sie mitgenommen hat, Liebling, hat er sie gewiß anständig behandelt. Olivias Erscheinung und Auftreten laden einen Mann nicht ein, auf lüsterne Gedanken zu kommen.«
»Weißt du, wo Mr. Danaher wohnt?«
»Nicht genau. Niemand scheint genau zu wissen, wo seine Mine ist. Danaher kommt nicht so oft in die Stadt, und wenn, ist er nicht sehr redselig. Wenn einer in dieser Gegend nicht freiwillig von sich erzählt, stellen die Leute keine großen Fragen.«
»Aber du wirst ihn finden, nicht wahr?« fragte sie ängstlich.
»Aber ja. Wir finden ihn.« Er schaute aus dem Fenster. Es schneite heftiger. »Wir können uns erst auf die Suche machen, wenn der Sturm sich gelegt hat und der Schnee etwas geschmolzen ist. Unterdessen schicke ich jemand nach Helena, um Erkundigungen über den Burschen einzuziehen. Ich meine mich zu erinnern, vor einiger Zeit einen Handzettel mit der Zeichnung eines Mannes gesehen zu haben, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Danaher hatte. Damals hat mich das nicht sonderlich interessiert. Ich habe mir wohl schon die Art der Leute hier angewöhnt – leben und leben lassen. Wenn der Kerl aber aus irgendeinem Grund polizeilich gesucht wird, werden wir ihm ganz schön einheizen.«
»Du meine Güte! Arme Olivia. Aber selbst wenn Mr. Danaher ein Schurke sein sollte, hoffe ich, daß sie bei ihm ist. Hauptsache, sie ist am Leben.«
Sylvester warf ihr einen besorgten Blick zu. »Reg dich bitte nicht auf, Amy. Wenn Olivia bei Gabriel Danaher ist, holen wir sie wieder zurück.«
Amy legte ihre Hand auf ihren Bauch. Morgen ist Erntedankfest, und sie sandte ein Dankgebet zum Himmel, daß es nun wenigstens wieder Anlaß zur Hoffnung gab. »Olivia! Wach auf, in Gottes Namen!« Gabe rüttelte sie, und als sie nicht aufwachte, zog er seinen Handschuh aus und versetzte ihr eine kräftige Ohrfeige. Er war schließlich nicht stundenlang durch den Schneesturm geritten, um die dumme Gans sterben zu lassen. So einfach würde sie seiner Strafpredigt nicht entgehen.
»Olivia! Mach die Augen auf, sonst muß ich dich mit den Füßen voran an einen Baum hängen, damit das Blut wieder in deinen dämlichen Kopf steigt!« Er rüttelte sie wieder.
Ihre Lider flatterten, schlossen sich aber wieder. Sie war so bleich wie der Schnee, in dem sie lag, und das Rinnsal gestockten Blutes, das sich von der Schläfe über ihr Ohr bis in den Nacken zog, bildete einen erschreckenden Farbkontrast.
»Wach auf, du dummes Weib! Wenn du aufgibst und stirbst, kannst du was erleben!«
Ihre Lider flatterten wieder, öffneten sich und blieben offen. Mit Mühe fixierte sich ihr Blick auf sein Gesicht. »Gabriel.« Das Wort kam in einem rauhen Flüstern aus ihrer Kehle.
»Wird aber Zeit, daß Sie endlich zu sich kommen!« Er strich ihr eine nasse Locke aus der Stirn, eine zärtliche Geste, die nicht zur Schroffheit seines Tonfalls paßte. »Ich schreie mir die Kehle aus dem Leib.«
Ihr Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln.
Er zog die Decke enger um sie und lehnte sie gegen einen Baum, der etwas Schutz vor dem Schneetreiben bot. »Ich mache Feuer und baue uns ein Zelt. Es wird mit Sicherheit noch kälter. Sie halten die Augen offen, haben Sie verstanden?«
Sie nickte kaum merklich, und er entfernte sich, um dürre Zweige und Laub unter der Schneedecke zu sammeln.
Zum Glück war es kalt genug, um zu verhindern, daß der Schnee das Laub durchweichte. Wenn es ihm nicht gelingen würde, Feuer zu machen, würden sie beide als Eiszapfen enden. Immer wieder beugte er sich über sie, um zu prüfen, ob sie noch wach war. Nachdem er sie in eine schwere Wolldecke gepackt
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