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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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genügend Holz gesammelt, um das Feuer die Nacht und wenn nötig den nächsten Tag nicht ausgehen zu lassen. Er stellte die Kaffeekanne in die Flammen und zog einen Streifen Trockenfleisch aus der Satteltasche. Es wurde beinahe gemütlich in dem kleinen Nachtlager. Sie kauerten dicht an der Öffnung des Tipis, wärmten sich am Feuer und horchten auf das Zischen, wenn Schneeflocken auf die Blechkanne fielen. Nachdem sie gegessen hatten, wickelte Gabe eine Decke um sie beide und legte sich neben sie auf die frischen Fichtenzweige, mit denen er den Boden ausgepolstert hatte. Der erwartete Einwand von Olivia blieb aus. Sie war zu erschöpft, um sich über Sitte und Anstand zu ereifern. Willig lehnte sie sich an seine Brust und kuschelte sich in seine Armbeuge. Eigensinnig oder nicht, die Frau fühlte sich gut an. Sie schmiegte sich wunderbar weich an seinen Körper, und seine Arme hätten mühelos um sie herumgereicht. Ihr nasses Haar roch nach Wind und Schnee, und ihre Haut roch wohltuend nach Frau.
    Gabe verdrängte die Gedanken, die in ihm hochkrochen. Olivia hätte sie unschicklich genannt. Gabe nannte sie lüstern – und noch etwas, worüber er nicht nachdenken wollte. Er fühlte sich für die Frau verantwortlich, weiter nichts. So wie sie sich für Murdoch verantwortlich fühlte.
    Verantwortung. Mehr bedeuteten diese seltsamen Gefühle nicht. Mehr konnten und durften sie nicht bedeuten.

Kapitel 7
    Sie verbrachten den ganzen Tag, die Nacht und den nächsten Vormittag in dem winzigen Tipi aneinander gekuschelt, tranken heißen Kaffee, aßen Trockenfleisch und getrocknete Maiskörner und schliefen zwischendurch ein, wenn die Erschöpfung stärker war als die Kälte. Für Olivia war das Universum winzig geworden. Eine Welt außerhalb des Zeltes war kaum mehr vorstellbar. Alles, was nicht damit zu tun hatte, sich warm zu halten, ihren Hunger und Durst zu stillen, war zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Amy gehört in eine andere Welt; New York und ihre Anstellung an der Klinik in eine noch weiter entferntere Welt. Real war das Schneetreiben, das Feuer, das Tipi und Gabriel Danaher.
    Olivia stellte erstaunt fest, wie schnell ein zivilisierter Mensch in den Zustand der Primitivität zurückfallen konnte. Bedenkenlos vergaß sie jede Zurückhaltung und Distanz. Da Gabriel Danahers Arme ihr Wärme boten, wenn sie sich unter einer Schicht Wolldecken gekuschelt hatte, wehrte sie sich nicht gegen diese unschickliche Umarmung. Sollte sie den Sturm überleben, würde sie bei dem Gedanken erschauern, wie dünn der Lack von Kultiviertheit im Grund war. Im Augenblick zählte nichts außer Wärme und Überleben.
    Vielleicht war auch ihr Überlebenswille schuld daran, daß ihr Danahers Nähe nicht nur akzeptabel sondern angenehm war. Mehr als angenehm, wenn sie sich die Wahrheit eingestand. Seine Arme gaben ihr Geborgenheit, die breite Brust war ein willkommener Schild gegen die wilden Elemente, und sein Atem jagte ihr Schauer den Rücken entlang. Wenn sie in sein Gesicht schaute, entdeckte sie keine Spur seines irischen Spotts oder seiner Sturheit. Sie hatte bereits vermutet, daß sich hinter seinem verwegenen Äußeren etwas Grundsolides verbarg, und unter der Decke in seinen Armen bestätigte sich diese Vermutung.
    Während der ganzen Nacht und am nächsten Morgen trieb der Sturm Graupel und Schneeschauer in grimmigen Trommelwirbeln gegen die Plane des Tipis. Gegen Mittag legte sich der Wind, die Flocken fielen weniger dicht, bald hörte es auf zu schneien. Gelegentlich lugte die Sonne zwischen Wolkenfetzen hindurch und strahlte bald glitzernd auf eine weiße Welt unberührter Reinheit. Olivia kroch aus dem Zelt, das an der dem Wind zugewandten Seite fast im Schnee versank und in dessen Windschatten der Schnee fast weggefegt war. Die Pferde stampften und wieherten schnaubend zur Begrüßung. Und plötzlich war die Welt wieder in Ordnung. In Elkhorn wartete Amy auf sie, in New York eine Stelle als Ärztin, und hier war dieser Mann, der sie gewaltsam von beidem fernhielt und ihr seinen Willen aufzwang.
    »Die Sonne tut gut.« Danaher schlug die Füße gegeneinander, um seinen Kreislauf in Bewegung zu bringen.
    »In einigen Stunden ist der Schnee fast geschmolzen. Das haben Schneestürme im Herbst so an sich. In einer Nacht fällt ein halber Meter Schnee, und am nächsten Tag sind nur noch Matsch und Dreck zu sehen.«
    »Wie schön das ist!« rief Olivia aus. »Wie kann der Himmel plötzlich so blau sein? Und jeder Ast und jeder

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