Die Medizinfrau
wie man Kerzen drehte, wie man einer Henne ein Ei wegzog, ohne blutig gehackt zu werden, oder wie heiß die Pfanne sein mußte, um Pfannkuchen zu braten. Irgendwie würde sie die Dinge vermissen, die Ellen ihr mit solchem Eifer beigebracht hatte unter Katys argwöhnischen Blicken, ob sie es je lernen würde.
Olivia ließ ihren Blick eine Weile auf Danaher ruhen. Ihn würde sie auch vermissen, obwohl das Geständnis, sogar sich selbst gegenüber, ihren Stolz verletzte. In den vergangenen Wochen war ihr klar geworden, daß ihre Selbstsicherheit einen Schuß Arroganz enthielt. Sie hatte sich für unanfechtbar gegen männlichen Charme gehalten, einfach zu intelligent und pragmatisch, um breiten Schultern, muskelbepackten Armen, einem Lächeln, das an den Satan erinnerte und zugleich das Paradies versprach, zu erliegen. Trotz aller Gegenwehr fühlte sie sich zu diesem unmöglichen Mann hingezogen.
Nie zuvor hatte ein solcher Aufruhr widersprüchlicher Gefühle in ihr getobt. Nach allem, was dieser Danaher ihr angetan hatte, müßte sie ihn verachten. Doch sie verachtete ihn nicht. Er war nervtötend, aufreizend, ungehobelt, brutal und gewalttätig, so wie es ihm paßte. Aber er war auch verständnisvoll, sanft, liebevoll und geduldig im Umgang mit seinen Töchtern. Und er hatte ein ansteckendes Lachen, das sie schmunzeln ließ, selbst wenn er über sie lachte.
Gabriel Danaher war ein außergewöhnlicher Mensch. Hätte er ihr Herz erobert, wenn sie ihn mit achtzehn kennengelernt hätte?
Natürlich nicht! Beantwortete Olivia sich ihre Frage. Zum einen hätte er kein Interesse an ihr gezeigt. Und ihre Interessen lagen auf intellektuellen Gebieten, galten ihrem Studium; weibliche Reize einzusetzen, waren ihr gleichgültig. Sie war bereits mit achtzehn völlig auf ihr zukünftiges Berufsziel fixiert. Nicht, daß sie eine Abneigung gegen Männer gehabt hätte; sie paßten lediglich nicht in ihre Zielsetzung. Und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Sich schwärmerischen Gedanken über einen Eigenbrötler mit zweifelhafter Vergangenheit hinzugeben, war der Gipfel der Torheit, und wäre sie nicht in diese absurden Umstände geraten, wären ihr solche Gedanken niemals in den Sinn gekommen.
Sie hätte sich auch nicht von den beiden Gören um den Finger wickeln lassen. Die beiden waren kleine Teufel. Katy war die frechere Range, doch auch Ellen hatte einen kleinen Dämon in sich. Jede Frau, die mit der Erziehung der beiden betraut wäre, käme vermutlich ins Irrenhaus.
Der Ritt ins Tal war weitaus angenehmer als Olivias letzter Ausflug. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel. Tannen und Fichten reckten sich wie Lanzen in das Blau. Die Grünschattierungen hoben sich vom matten Gold der Espenblätter ab, die den Waldboden bedeckten, dazwischen lagen weiße Sonnenflecken, wo die Sonne nicht hinkam. Es war trotz des scharfen Windes ein schöner Tag. Diese Berge mit ihrem Tannenduft, der kristallklaren Luft, den Wolkenschatten, die über Bergmatten und Felsgipfel huschten, würden ihr fehlen. Die majestätische Erhabenheit hoch aufragender Felsen erfüllten den Betrachter mit Ehrfurcht und ließen die Gegenwart Gottes spüren.
Aber es war gut, nach Hause zu kommen, dachte Olivia. Wenn der Weg offen war, würde sie mit Amy und Sylvester Weihnachten verbringen, wohlbehütet und geborgen an einem Ort, wo man sie brauchte, wo sie sich zurechtfand, wo ihr Leben in geordneten Bahnen verlief, die sie ihrem sorgfältig geplanten Ziel näherbrachten. Sie hoffte inständig, daß Amy und ihr ungeborenes Baby wohlauf waren, daß die von ihr gezwungenermaßen im Stich gelassenen Patienten bei Kollegen genesen waren.
Olivia wünschte, Danaher würde etwas sagen. Er hatte sich kein einziges Mal nach ihr umgedreht, seit sie aufgebrochen waren. Dieses Schweigen paßte nicht zu ihm. Auch er hing seinen Gedanken nach. Zweifellos ärgerte er sich über die verlorene Zeit und die Mühe, sie zurückzubringen.
Sie ritten schweigend weiter. Schon jetzt fehlte er ihr, und dafür haßte sie sich.
Als sie den Lawinenabgang erreichten, stand die Sonne über den Gipfeln im Westen. Olivias Gesäß schmerzte, ihre Schultern waren verspannt, ihr Gesicht brannte vom kalten Wind. Sie war zu müde, um ihre Enttäuschung zu verbergen, als Danaher verkündete: »Na ja, ich habe ohnehin nicht geglaubt, daß der Weg passierbar ist. Aber wir haben es wenigstens versucht.«
Eine Träne kullerte über Olivias Wange – vor Wut, Enttäuschung und
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