Die Medizinfrau
tun es immer noch.«
Sylvester hatte in Helena Nachforschungen über Danaher angestellt. Und die Antwort war erst vor einer Woche gekommen. Unter dem Namen Danaher stand niemand auf der Fahndungsliste. Die Beschreibung, die Sylvester beigefügt hatte, paßte auf mindestens ein Dutzend Schurken, die Ende zwanzig, Anfang dreißig und ziemlich groß waren und schulterlanges schwarzes Haar hatten. Leicht gereizt dachte Amy an die fantasielose Beschreibung, die Sylvester formuliert hatte. Amy hatte den Mann nur zweimal gesehen, zwar mit damenhaft gesenktem Blick, um nicht neugierig zu wirken, doch sie hätte ein genaueres Bild von ihm malen können. Sein Haar war nicht bloß schwarz; es hatte einen rötlichen Schimmer. Seine Augen waren grün und ließen den Betrachter an einen stillen See denken. Sein Mund war geschwungen wie die Lippen einer Frau. Durch die harten Falten und den spöttischen Zug um die Mundwinkel ging allerdings eine Spannung von ihm aus, daß man es vorzog, dem Mann aus dem Weg zu gehen. Sein kantiges Gesicht erinnerte sie an ein Raubtier.
Bei dem Gedanken, Olivia könnte diesem Kerl in die Hände gefallen sein, verkrampfte sich Amys Herz. Andererseits immer noch besser als die Vorstellung, ihre Leiche läge in einer tiefen Schlucht, aus der man sie nie bergen könnte.
»Weißt du, liebste Amy, so schwer es auch für dich ist, du darfst dir das traurige Schicksal deiner Freundin nicht zu sehr zu Herzen nehmen«, riet Penelope Shriner. »Du mußt an die Gesundheit deines ungeborenen Kindes denken, dem deine Besorgnis nicht gut bekommt.«
»Ich weiß, Penelope. Aber sie war … ist … meine beste und liebste Freundin. Und sie kam nach Montana, um mir beizustehen.«
»Aber es ist nicht deine Schuld, daß ihr etwas zugestoßen ist«, beruhigte Margaret Norton sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Frauen, die sich nicht in ihre Welt einfügen können, begeben sich in Gefahr. Sie fordern Situationen heraus, in die Frauen nicht geraten dürften. Die Rücksichtnahme auf das schwache Geschlecht wird ihnen verweigert, weil sie sich nicht wie Frauen verhalten.«
»Ach Unsinn! Olivia Baron ist die gütigste, liebenswerteste Lady, die es auf der ganzen Welt gibt.«
»Wäre sie eine Lady, Amy, würde sie nicht nachts alleine, ohne männliche Begleitung, auf der Straße herumlaufen.«
»Sie ist Ärztin und hat Patienten besucht!«
»Eine Lady ist für diesen Beruf nicht geschaffen.«
»Selbst wenn das zutreffen sollte, wäre es denn eine Rechtfertigung dafür,’ daß sie verletzt oder getötet wurde?«
»Natürlich nicht, Liebste«, beschwichtigte Penelope sie. »Margaret wollte damit nur sagen, daß du für das, was geschehen ist, keine Verantwortung trägst. Besorgnis bringt dich nur um dein inneres Gleichgewicht und zehrt an deinen Kräften, die du für dein Baby brauchst.«
»Du hast vollkommen recht«, pflichtete Bess Walpole ihrer Vorrednerin bei. »Möglicherweise ist sie mit diesem Kerl durchgebrannt. Eine Frau, die sich über Konventionen hinwegsetzt, ist doch völlig unberechenbar.«
»Ich glaube ja nicht, daß dieser Danaher sie geholt hat«, erklärte Cornelia Stanwick. »Wenn der Mann seinen Spaß haben wollte, gäbe es doch genügend leichte Mädchen in dieser Stadt, die ihn gern begleitet hätten.«
Die Frauen murmelten bekümmert ihre Zustimmung.
»Ich glaube, Sylvester vergeudet seine Zeit und die unserer Ehemänner, in die Berge zu reiten, um den Kerl aufzuspüren.«
»Er will eben nichts unversucht lassen«, entgegnete Amy. »Er kennt meine Gefühle für Olivia.«
Eigentlich wäre ihr lieber gewesen, wenn Sylvester seine Nachforschungen über Danaher nicht so öffentlich geführt hätte. Olivias Ruf würde mit Sicherheit darunter leiden, wenn die ganze Stadt von ihrer Entführung wußte. Doch Männer dachten über so heikle Dinge wie Gefühle und Rufschädigung nicht nach. Sylvester hatte in der ganzen Stadt nachgefragt, ob jemand wisse, wo Gabriel Danahers Hütte lag, und hatte kein Geheimnis daraus gemacht, warum er das wissen wollte. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als wisse niemand, wo man Danaher finden könne; doch jeder Mann in der Stadt erklärte sich bereit, sich der Schar anzuschließen, um den Mann aufzuspüren. Für die Männer war das eine willkommene Abwechslung. Sie redeten über die Vorbereitungen ihres bevorstehenden Abenteuers wichtigtuerisch und mit Begeisterung. Es schien völlig unwichtig, wen sie jagten und warum.
Irgendwann sagte ein Mann, der in
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