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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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Verzagtheit. Wütend war sie darüber, daß Amy nun noch länger im Ungewissen über ihren Verbleib sein mußte. Wütend, daß sie weiterhin in einer Welt festsaß, in die sie nicht gehörte. Wütend, daß sie weniger enttäuscht war, als sie sein müßte. Besorgt um Amy war sie – das schon – und enttäuscht, immer noch nicht zu ihrem gewohnten Leben zurückzukehren. Doch etwas in ihr war froh, daß dieser Tag nicht der letzte war, an dem sich Gabriel Danaher zu Gesicht bekam.
    Hastig wischte sie die Träne weg, bevor Danaher sie sehen konnte. »Wie lang wird es noch dauern, denken Sie?«
    »Schwer zu sagen. Wenn es so warm bleibt, nicht mehr lang.«
    Er wandte sein Pferd und stand ihr nun gegenüber – schaute sie zum ersten Mal an, seit sie den Abstieg begonnen hatten. »Doc«, fing er an und klang etwas verlegen. »Meine Mutter hat mir einmal gesagt, die Iren hätten den Eigensinn erfunden, besonders irische Männer, und ich denke, auf mich trifft das zu. Einem Dickschädel fällt es schwer, sich zu entschuldigen. Aber ich glaube, ich schulde Ihnen eine Entschuldigung. Es tut mir leid, daß Sie hier auf dem Berg festsitzen. Für eine Dame wie Sie ist es sicher nicht leicht, und die Mädchen und ich haben es Ihnen nicht leichter gemacht. Und wenn ich das alles recht überlege, haben Sie sich tapfer gehalten.«
    Olivia war über seine unerwartete Entschuldigung völlig verdattert.
    »Aber ehrlich gesagt, würde ich es wieder tun, wenn Katy oder Ellen krank wären.«
    Olivia lächelte. »Also, Mr. Danaher, ehrlich gesagt, wenn Katy oder Ellen krank wären, würde ich Ihnen dafür keine Vorwürfe machen. Hätte ich Kinder, würde ich vermutlich nicht anders handeln, wenn es die Situation verlangt.« Sie blickte wehmütig den Weg hinunter. »Es wäre alles nicht schlimm gewesen, wenn diese verdammte Lawine nicht abgegangen wäre.«
    »Machen Sie kein trauriges Gesicht, Doc. New York wird auf Sie warten.«
    Ja, New York würde warten. Olivia hoffte nur, daß Amy und ihr Baby auch warten konnten.
    Sie machten sich auf den Rückweg. Die Sonne ging unter, und es wurde merklich kälter. Am Himmel zogen tiefhängende Wolkenfetzen dahin, und es roch nach Schnee. Danaher führte sie in ein dichtes Waldstück, um das Lager aufzuschlagen. Es gab genügend abgefallene Äste und Zweige für ein Lagerfeuer, und die Bäume boten Schutz vor dem Nachtwind.
    »Sie machen Feuer«, gab Danaher Anweisungen. »Ich baue das Zelt auf und besorge uns etwas zu essen.«
    »Erwarten Sie bloß nicht, daß ich das arme Ding ausnehme und häute, das Sie uns zum Abendessen bringen.«
    »Ich denke, Sie sind an Blut und Eingeweide gewöhnt, Doc.«
    »Medizin ist etwas anderes als Blut und Eingeweide, Mr. Danaher.«
    »Hier in der Gegend hat man als Doktor aber ziemlich häufig damit zu tun«, meinte er.
    Danaher blieb lange fort. Olivia hatte Feuer gemacht – eine neuerworbene Fähigkeit, auf die sie stolz war – und kochte Kaffee, als er mit zwei Hasen zurückkam.
    »So lange für ein paar Hasen?« spottete Olivia. »Katy hätte in der Hälfte der Zeit vier davon gebracht.«
    »Ich habe Spuren gefunden, denen ich eine Weile gefolgt bin. Der alte Bruno hat sich hier rumgetrieben.«
    »Bruno der Bär?«
    »Genau. Der Bär. Jeder, der in diesen Bergen schürft, begegnet ihm früher oder später.« Schnell und geschickt weidete Danaher seine Beute aus und steckte sie auf Zweige. »Bruno ist alt, er lahmt und ist schlecht gelaunt. Er frißt Kühe, Maulesel, Pferde … und Menschen. Letzten Sommer ist er in die Hütte des alten Joe Petrowski zwei Täler weiter eingebrochen. Er muß Joe im Schlaf überrascht haben, nehme ich an. War nicht mehr viel übrig von dem Alten, als ich ihn fand.«
    Olivias Magen rebellierte. Sie hatte plötzlich keinen Appetit mehr.
    »Ich wußte nicht, daß Bären Menschenfresser sind.«
    »Sind sie meist auch nicht, aber Bruno ist alt und lahm. Er holt sich leichte Beute, und für einen Bären seiner Größe sind Menschen ziemlich leichte Beute, wenn sie keine Flinte auf ihn anlegen. Und selbst dann muß man schon genau die richtige Stelle treffen, sonst läßt sich ein Grizzly nicht aufhalten. Seine Schädeldecke ist zu dick.«
    »Du liebe Güte.«
    Danaher legte die Hasenspieße übers Feuer. »Schönes Feuer, Doc. Sie werden noch eine tüchtige Siedlerfrau.«
    »Wird der Bär vom Feuer angezogen?«
    »Keine Sorge. Bruno wandert das Tal hinauf – sucht sich vermutlich eine Höhle, um den Winter zu verbringen. Deshalb

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