Die Medizinfrau
der Erzmühle arbeitete, er wisse, wo Danahers Mine liege – ungefähr jedenfalls. Zehn Männer aus der Stadt, darunter die Ehemänner der Damen von Amys Teegesellschaft, hatten sich auf den Weg gemacht, nur um festzustellen, daß eine Schnee- und Schlammlawine den Weg in die Berge blockierte.
Amys Hoffnung war gestiegen, als die Schar losritt und mit der Nachricht zurückkehrten, der Weg sei versperrt. Vielleicht war das der Grund, warum Danaher Olivia nicht zurückgebracht hatte. Vielleicht hatte er gar keine bösen Absichten gehabt, hatte nur einen Arzt gebraucht, und die Lawine hielt die Freundin bei Danaher und seinen indianischen Geliebten fest. Vielleicht hatte Olivia ihn sogar freiwillig begleitet und fand keine Möglichkeit, eine Nachricht nach Elkhorn zu schicken, weil der Weg versperrt war. Vielleicht. Sie klammerte alle ihre Hoffnung daran, denn wenn Olivia nicht bei Gabriel Danaher war, war sie mit Sicherheit tot, und Amy würde ihr Schicksal nie erfahren.
»Na ja!« Bess Walpoles Doppelkinn wackelte vor Entrüstung. »Wenn dieser Mann sie entführt hat, muß er bestraft werden. Montana wird niemals zivilisiert werden, solange wir derartiges Treiben dulden.«
»Er wird nicht bestraft«, entgegnete Cornelia, »wenn unsere Männer es nicht selbst tun. Montana ist der jüngste Bundesstaat, und es herrscht keine Zucht und Ordnung. Erst vor ein paar Tagen habe ich gesagt …«
Die Damen ereiferten sich weiter über die Veränderungen, die der Status des Bundesstaates mit sich bringen würde, dann über die neue Stofflieferung der Elkhorn Handelsgesellschaft, über den bevorstehenden Weihnachtsball, der im Saal der Freimaurerloge stattfinden sollte. Ihr Stimmengewirr und Gelächter klangen schmerzhaft schrill in Amys Ohren. Wenn die Teegesellschaft nur schon vorüber wäre! Sylvester hatte sie ermuntert, die Damen zum Tee zu bitten. Sie sei deprimiert, meinte er, und die Gesellschaft der Damen würde sie sicher ein wenig aufmuntern.
Sie war nicht deprimiert, dachte Amy. Sie war besorgt. Und die Gesellschaft der Damen hatte sie nicht im geringsten aufgemuntert.
Ihre Einstellung zu Olivias Verschwinden machte sie wütend, und sie mußte sich sehr zusammennehmen, um den Damen nicht zu sagen, was sie von ihrer Engstirnigkeit und Selbstgerechtigkeit hielt.
Olivia würde über Amys Beschützerhaltung lachen und den aufgedonnerten Hennen sogar noch Verständnis entgegenbringen. Ob Olivia immer noch lachen konnte, fragte sich Amy. Wenn Danaher sie wirklich entführt und ihr Leid zugefügt hatte, würde sie ihr Schicksal gelassen hinnehmen und ihr Leben wie gewohnt wieder aufnehmen können?
Amy fürchtete beinahe den Tag, an dem der Bergpfad wieder frei war. Sie wollte weiterhin hoffen und hatte Angst vor einer wie immer gearteten Gewißheit.
Sie wünschte sich sehnlichst, Olivia wohlbehalten und munter zurückzuhaben. Sie wünschte sich, ihr Baby gesund zur Welt zu bringen. Sie mochte nicht mehr kugelrund wie ein reifer Kürbis herumlaufen. Dieser Alptraum von einem Winter sollte vorüber sein und die Frühlingssonne wieder lachen.
Sie war ängstlich, traurig und besorgt.
Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und spürte einen kräftigen Tritt. Olivia, flehte sie im Stillen, bitte sei am Leben und gesund und komm zu mir zurück!
Siebzig Meilen weiter südlich, in der Nähe von Virginia City, grübelte noch ein Mensch über das spurlose Verschwinden eines anderen nach. Seine Gedanken waren jedoch nicht voll Wehmut, sondern voll Rachedurst. Ace Candliss Finger klopften auf die polierte Eichenplatte seines Schreibtischs, während er aus dem Fenster seines Büros über das weite Tal blickte, eines der besten Weidegebiete westlich des Mississippi. Sein Tal. Sein Land. Mit Schweiß, Köpfchen und Durchsetzungskraft hatte er eine der größten Ranchen in Montana aufgebaut. Er und sein Vater vor ihm – und sein Bruder Buck. Er war reich, mächtig und ein sehr einflußreicher Mann. Einem Candliss konnte kein hergelaufener, unbedeutender Ire ungestraft in die Quere kommen.
Ace wandte den Blick dem Mann zu, der ihm gegenüber saß. Cal Rodgers stand seit sechs Jahren in seinen Diensten. Er hatte seinen Vater gekannt und seinen Bruder. Er war nur ein passabler Cowboy, doch im Umgang mit der Waffe war Rodgers nicht zu schlagen. Und er hatte den Jagdinstinkt eines Bluthundes – und war dem Mann in unerschütterlicher Treue ergeben, der ihm seinen Lohn bezahlte. Mit seinen unrasierten Hängebacken, den von Sonne,
Weitere Kostenlose Bücher