Die Medizinfrau
ausdehnen würde, wäre sie in größter Versuchung, ihn gewähren zu lassen. Seine Finger in ihrem Haar, der Kamm, der über ihre Kopfhaut strich, seine Hand, die ihren Kopf hielt, ihre Wange entlangglitt, all das rief einen sehnsüchtigen Schmerz in ihr hervor, beängstigend und erregend.
»Fertig«, erklärte er etwas später. »Sind Sie noch wach? Sie haben seit zehn Minuten keinen Pieps von sich gegeben.«
Olivia fiel es schwer, ihrem Drang zu widerstehen, sich an seine breite Brust zu lehnen und sich der Entspannung – oder dem, was folgen würde – hinzugeben. »Ich bin noch wach.«
»Sie legen sich besser hin. Morgen müssen wir früh raus.«
Vom Baumstumpf aufzustehen kostete sie große Mühe, doch Olivia schaffte es. »Danke fürs Frisieren.«
»War mir ein Vergnügen.«
Seine etwas heisere Stimme klang sehr aufrichtig. Sie vermied es angestrengt, ihn anzusehen; aus Angst, sein gebräuntes Gesicht, das spöttische Lächeln und der teuflische Schwung seiner schwarzen Augenbrauen könnten ihr den Verstand rauben. Befangen flocht sie ihr Haar und wusch ihr Gesicht mit warmem Wasser.
»Gute Nacht, Mr.’ Danaher.«
Sie spürte seinen Blick auf sich, als sie ins Zelt kroch. »Gute Nacht, Olivia«, antwortete er schließlich.
Olivia vergrub sich in die Dunkelheit ihrer Decke und horchte, wie Danaher mit dem Waschwasser planschte. Seine Stiefel fielen mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden, und die Tannennadeln unter seiner Decke knisterten, als er sich hinlegte. Dann breitete er eine Decke über beide und steckte sie fest. Olivia spürte seine Wärme. Sie protestierte nicht.
Sitte und Anstand verloren in dieser Wildnis ihre Bedeutung. Die ersten tanzenden Schneeflocken trieben am Zelteingang vorbei und verzischten in der Glut des Lagerfeuers.
»Warm genug?« fragte Danaher. Er hatte sich an sie geschmiegt, sein Arm lag um ihre Taille und sein Kinn ruhte auf ihrem Scheitel.
Olivia fühlte sich wohlig und schämte sich nicht im geringsten. »Mir geht’s gut. Bekommen wir wieder einen Schneesturm?«
»Ich glaube nicht.«
Sie schloß die Augen und überließ sich dem Wohlbehagen, seinen Körper zu spüren, seine Wärme, seinen Duft. Er strahlte eine Aura von Männlichkeit und Vertrauen aus, die sie völlig umfing. Tief im Kern ihrer Weiblichkeit sehnte sie sich nach mehr. Sie wollte mit ihm vereint sein, mit dem Körper und der Seele. Unmöglich. Lächerlich. Das würde nie geschehen, durfte nie geschehen. Und dennoch sehnte sie sich danach.
Irgendwo in den Bergen sang ein Rudel Wölfe klagende Serenaden in den schneebeladenen Nachthimmel. Der Klang weckte Einsamkeitsgefühle in Olivias Herz. Als spüre er ihre Gefühle, hob Gabe den Kopf und sah auf sie herunter. »Sie brauchen keine Angst vor den Wölfen zu haben. Sie tun uns nichts.«
»Es klingt so verlassen.«
»So ist es. Als sei die ganze Welt verlassen.«
Sein Gesicht war ihrem sehr sah, und Olivia hatte keine Chance, den Kuß abzuwehren. Sie hatte auch nicht den Wunsch, sich dagegen zu wehren. Sein Mund bewegte sich zart über ihrem – eher tröstend als fordernd. Er schmeckte nach Holzrauch, Hasenbraten und Leidenschaft, dennoch hatte sie keine Angst. Die warme Erregung, die in ihr anstieg, als sein Kuß sich vertiefte, war keine Sünde und ganz natürlich – so natürlich wie die herrlich wilden Berge und das sehnsüchtige Heulen der Wölfe.
Schließlich hob er den Kopf. Seine Augen tranken in ihre Gesichtszüge ein. »Gute Nacht, Olivia.«
»Gute Nacht«, antwortete sie leise.
Er legte den Kopf zurück und schmiegte sich an sie. Eine Hand strich ihr zärtlich über die Wange. Nie zuvor hatte Olivia sich so erfüllt und zugleich so leer gefühlt.
Gabe erwachte lange vor Morgengrauen. Mondlicht fiel in die Zeltöffnung, und die Bäume um die Lagerstelle warfen lange, schmale Schatten auf den im Schein des Wintermondes glitzernden, frisch gefallenen Schnee. Der Sturm hatte sich bereits gelegt.
In Gabe tobte ein Sturm von größerer Wucht. Angefangen hatte es mit Neugier und war dann zur Faszination geworden und jetzt … Jetzt konnte er seine Gefühle für Olivia Baron nicht beschreiben. Einige dieser Gefühle waren eindeutig, machten ihn schwindelig in ihrem kleinen Zelt, eingewickelt in Decken, die ihre Körperwärme speicherten, ihr fester, kleiner Hintern unschuldig an seine Leisten gepreßt. Das war schiere Lust. Verlangen. Animalische Begierde. Doch hinter dieser Fleischeslust war etwas anderes. Er hatte die Frau gern,
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