Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
bisschen Geld geben würden.
»Meine Brüder und Schwestern«, bettelte sie. »Bitte, kein Betrag ist zu gering.«
An einem Band um den Hals trug sie ein Foto ihres Mannes. Der Kranke lag auf einer Raffiabastmatte auf dem nackten Zementboden. Er war splitternackt, und seine Rippen schimmerten durch die Haut. Zwischen seinen knochigen Beinen wucherte eine Geschwulst von der Größe zweier Männerköpfe. Die ausgeblichene Fotografie baumelte auf ihrer flachen Brust, als sie eine Blechbüchse ins Auto hielt und mit den Münzen darin klimperte.
Als ich das Foto sah, traf es mich wie ein Blitz.
Mir fiel ein, was in Olas Zimmer gefehlt hatte und was die ganze Zeit an mir genagt hatte, als ich bei ihr auf dem Bett saß. Sämtliche Fotos von mir – alle drei – waren aus ihrem Zimmer verschwunden.
4
Die Lokalnachrichten um 19 Uhr waren gewöhnlich eine nichtige Zusammenstellung der Tagesaktivitäten unseres Staatsgouverneurs – was er wann gesagt hatte und zu wem. Die gesamtnigerianischen Nachrichten um 21 Uhr waren anders. Allabendlich gab es irgendeinen Bericht, der Vaters Zorn erregte.
»Das sind alles Analphabeten«, schimpfte er. »Das ist unser Problem in diesem Land. Wie können wir uns bloß von Leuten regieren lassen, die nie eine Universität von innen gesehen haben?«
Vor zwei Tagen hatte man einen der prominenteren Abgeordneten beschuldigt, seine Ausbildungszeugnisse gefälscht zu haben. Er hatte viele Jahre in Kanada gelebt, woran an sich nichts auszusetzen war, aber in der Universität von Toronto gab es keine Unterlagen darüber, dass er dort studiert hatte. Gestern war die große Nachricht, dass die nigerianische Regierung weltweit alle möglichen Hebel in Gang gesetzt hatte, um an einen Teil der drei Milliarden Pfund zu kommen, die vom Kabinett des verstorbenen Generals Sani Abacha veruntreut worden waren. Etwa 700 Millionen waren auf Schweizer Konten entdeckt und bereits eingefroren worden. Heute war die wichtigste Nachricht, dass ein Konvoi eines Gouverneurs in einen Unfall verwickelt gewesen war. Es war das vierte Mal, dass der Konvoi des nämlichen Gouverneurs einen Unfall mit tödlichem Ausgang für die Gegenseite verursacht hatte.
»Und das Ärgerlichste daran ist«, sagte meine Mutter, »dass er wieder einfach so davonkommen wird.«
»Ist denn jemand gestorben?«, fragte Charity.
»Hast du nicht zugehört?«, fragte Eugene zurück.
»Eine Frau war sofort tot«, antwortete Godfrey. »Die andere liegt im Krankenhaus.«
Der Pressesprecher des Gouverneurs machte deutlich, dass die Kosten für die ärztliche Versorgung seiner verletzten Ehefrau vom Gouverneur selbst getragen würden.
»Das sind Steuergelder!«, explodierte mein Vater in seinem Sessel.
»Aber warum können sie das Problem nicht endlich mal untersuchen?«, fragte meine Mutter. »Wieso fragen sie sich nicht, warum dieser Mann in seiner Amtszeit schon vier Unfälle gebaut hat?«
»Analphabeten … alle miteinander, … das ist das Problem.«
Wäre ich von anderen Problemen weniger abgelenkt gewesen, hätte ich die Antwort gratis geboten. Nach dem dritten Unfall hatte ich ein Interview gelesen, in dem der Pressesprecher des Gouverneurs den Regierungsgegnern die Schuld gab, weil sie angeblich die Unfälle durch einen mächtigen Juju-Zauber verursacht hatten, um dem Gouverneur zu schaden.
Schon bevor die Nachrichten zu Ende waren, hatte mein Vater genug. Er stand auf und zischte.
»Ich geh ins Bett«, sagte er. Meine Mutter folgte ihm.
Sobald sie aus dem Zimmer waren, sprang Godfrey zum Fernseher und wechselte zu einem Kanal, auf dem gerade ein Nollywoodfilm begann. Ich hatte nicht viel für diese in Nigeria produzierten Filme übrig, also erhob ich mich ebenfalls und ging ins Kinderzimmer.
Ich konnte nicht einschlafen. Auch drei Tage nach meinem Besuch bei Ola quälten mich die Sorgen. Weswegen war ihre Mutter mit mir unzufrieden? Vielleicht gab es irgendein Missverständnis zwischen Ola und ihrer Mutter. Vielleicht war sie mir böse, weil ich sie nicht so regelmäßig besuchte, wie es sich gehörte. Doch andererseits war sie immer beschäftigt. Olas Mutter war in den ersten Jahren ihrer Ehe eine zufriedene Ehefrau gewesen. Dann hatte ihr Mann sie wegen einer anderen Frau verlassen, und sie war gezwungen gewesen, sich ein eigenes Geschäft aufzubauen. Inzwischen besaß sie irgendwo im Stadtzentrum eine florierende kleine Chilisuppenküche, die sie mit beinahe fanatischem Eifer betrieb.
Diese rätselhafte Geschichte
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