Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
Gebannt starrte ich auf ihre Hand. Die rote Armbanduhr war nagelneu. Dolce & Gabbana . Sie sah meinen Blick und schob ihre Füße rasch unters Bett. Dadurch wurde meine Aufmerksamkeit auf genauso neue Schuhe gelenkt. Trotz meiner unzulänglichen Kenntnisse der profanen Dinge in dieser Welt erkannte ich das große Metallschild vorne auf jedem Fuß. Gucci .
Mit erhobenem Kopf und offenen Augen fragte ich: »Ola, wer hat dir diese Sachen geschenkt?«
Sie schlug die Augen nieder.
»Sie sind ein Geschenk von einem Freund, der im Ausland war«, antwortete sie mit schwankender Stimme.
Mir wurde komisch. Irgendwas war anders. Es war nicht nur ihre seltsame Stimmung. Es lag noch etwas anderes in der Luft.
»Wer ist dieser Freund?«, fragte ich.
»Ich habe gesagt, du sollst bitte mit dieser Fragerei aufhören. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung.«
Wir blieben eine Weile stumm nebeneinander sitzen. Ich wollte ihr von dem Brief erzählen, den ich von der Shell bekommen hatte, und davon, wie verzweifelt ich war. Ich wollte ihr erzählen, wie mir davor graute, mich immer weiter auf neue Ingenieurstellen zu bewerben. Aber ihr Gesicht blieb so hart, dass meine Stimme sich in Nichts auflöste. Dann fielen mir die Äpfel wieder ein.
»Hier«, sagte ich, »die habe ich dir mitgebracht.«
Aus dem Augenwinkel betrachtete sie meine ausgestreckte Hand.
»Stell sie da hin«, sagte sie.
»Auf den Fußboden?«
»Ja.«
Ich ließ die Plastiktüte fallen.
»Und jetzt muss ich mich ausruhen«, sagte sie, immer noch, ohne mich anzusehen. »Ich hatte eine sehr volle Woche, und die nächste Woche wird noch härter. Du weißt, dass ich an meiner Studienarbeit sitze.«
Ich nickte langsam und stand auf. Sie begleitete mich hinaus, hielt sich aber immer ein, zwei Schritte hinter mir. Wenn ich langsamer ging, damit sie aufholen konnte, ging sie ebenfalls langsamer. Wenn ich stehenblieb und sie ansah, wich sie meinem Blick aus. Vor dem Studentenheim blieb sie endgültig stehen. Ich drehte mich um, stemmte die Arme in die Hüften wie ein wütender Schuldirektor und marschierte zu ihr zurück. Dem Mädchen musste der Kopf gewaschen werden.
»Jetzt hör mal zu«, begann ich. »Ich seh doch genau, dass mit dir was nicht stimmt. Wenn es irgendwas gibt, das du mir zu sagen hast, dann sag es gefälligst einfach. Es hat noch nie etwas gegeben, über das wir nicht vernünftig …«
»Kingsley, ich glaube ehrlich, es ist besser, wenn du mich nicht mehr besuchen kommst.«
Mir klappte der Mund auf. Ich vergaß vollkommen, dass ich mitten in einer Rede gewesen war, die uns den Weltfrieden bringen sollte.
Sie zögerte und schaute irgendwo in die Ferne.
»Im Augenblick muss ich mich einfach konzentrieren. Ich stehe wirklich unter Druck.«
Ich seufzte. Natürlich. Ihr Studienpensum machte ihr zu schaffen. Manchmal konnten einen die Profs die Wände hochtreiben und in den Beton rammen. Ola war so von ihrer Arbeit in Anspruch genommen, dass sie sich nicht von der Liebe ablenken lassen wollte. Ich betrachtete sie ehrfurchtsvoll; sie hatte mir gerade wieder einmal Bewunderung eingeflößt.
»Ola«, sagte ich im verständnisvollsten aller Töne. »Mach dich nicht kaputt, okay? Gib mir einfach Bescheid, wenn du fertig bist, und dann komm ich dich besuchen. Okay?«
»Kingsley …«, sagte sie heftig.
Ihrem Gesicht sah ich an, dass sie auf meinen Vorschlag nicht eingehen wollte.
»Es ist wohl besser, wenn ich dir sage, dass meine Mutter sehr unzufrieden mit dir ist«, brachte sie schließlich heraus.
»Sie ist unzufrieden mit mir? Warum?« Ola wandte den Blick ab.
»Kingsley, ich muss gehen. Gute Fahrt.«
Damit drehte sie sich um und verschwand im Gebäude. Am Busbahnhof fand ich das Auto nach Umuahia und stieg ein. Der Kombi war schon beinahe voll, als sich eine ausgemergelte Frau näherte. Ihr knochiger Körper zeichnete sich unter einer übergroßen Bluse ab, die sie an der Taille gerafft hatte. Ein grauer Rock fiel ihr bis über die Knie, und an den Füßen trug sie ausgetretene Badelatschen. Sie steckte ihr dürres Gesicht zu meinem Fenster herein und teilte uns mit, dass es um ihren Mann gesundheitlich sehr schlecht stehe.
»Meine Brüder und Schwestern«, flehte sie, »ich habe neun Kinder, und der Hunger droht uns alle umzubringen. Mein Mann ist seit über einem Jahr schwerkrank, und wir haben kein Geld für die Operation.«
Sie behauptete, wir – die paar Leute in diesem Auto – wären ihre einzige Hoffnung im Leben. Wenn wir nur ein
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