Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
elf Jahre lang ein Denkmal unseres Überlebenskampfes gewesen war, war das Haus im Dorf in null Komma nichts rechtzeitig zur Trauerfeier gedeckt, getüncht und eingerichtet worden. Der Priester sprengte etwas heiliges Wasser auf das Grab und begann mit ruhiger und feierlicher Stimme den Bestattungsritus.
»Unser Bruder Paulinus Akobudike ist von uns gegangen, um im Frieden Christi zu ruhen. Möge der Herr ihn jetzt am Tisch der Kinder Gottes im Himmel willkommen heißen.«
Ich starrte ins Grab und versuchte, nicht daran zu denken, dass mein Vater darin lag und nun mir, uns allen für alle Zeit entzogen werden sollte. Meine Mutter wankte neben mir. Ihre Verwandten stellten sich zu ihr. Alle trugen dunkelblaues Ankaratuch. Auch die Verwandten meines Vaters trugen die gleichen Gewänder, aber in Dunkelgrün. Die jüngeren Männer der näheren Verwandtschaft trugen weiße T-Shirts mit dem Foto meines Vaters auf der Brust. Meine Mutter, meine Geschwister und ich waren in teure weiße Spitze gekleidet. Alle Gewänder waren den verschiedenen Gruppen unentgeltlich gestellt worden.
»Weil es Gott gefallen hat, unseren Bruder Paulinus Akobudike aus diesem Leben zu sich zu rufen, übergeben wir seinen Leib der Erde, denn wir sind Staub und zum Staub kehren wir zurück.«
Meine Mutter stürzte zu Boden und musste von ihren zwei Schwestern und Tante Dimma hochgezerrt werden. Cash Daddy schniefte besonders laut. Er war in das gleiche Ankaratuch gekleidet wie die anderen Verwandten meiner Mutter, doch man sah ihm sein Geld an. Cash Daddy stach unter allen heraus.
»Barmherziger Gott«, fuhr der Priester fort, »du kennst die Schmerzen der Trauernden, du erhörst die Gebete der Elenden. Erhöre dein Volk, das nach dir schreit in seiner Not, und stärke seine Hoffnung auf deine beständige Güte. Darum bitten wir dich durch Christus, unseren Herrn.«
»Amen.«
Tante Dimma hielt meine Mutter fest, damit sie nicht in das zwei Meter tiefe Loch kippte. Meine Mutter sah aus wie ein Gespenst, wie eine Tote, die einen Toten beweinte.
Dass sie lebte, erkannte man nur an ihren überfließenden roten Augen und ihrem tränenüberströmten und verzerrten Gesicht. Godfrey und Eugene standen neben mir auf der anderen Seite, beide weinend wie Dreijährige, die eine ordentliche Tracht Prügel bekommen haben. Godfrey hielt Charity an beiden Händen fest. Sie heulte aus Leibeskräften und zerrte mit aller Kraft, um ins Grab zu springen.
Weil ich der Opara war, kam ich an die Reihe, nachdem meine Mutter eine Handvoll Erde in das offene Grab geworfen hatte. Ich bückte mich und griff meinerseits eine Handvoll der frisch ausgehobenen Erde. Als ich mich aufrichtete und wieder ins Grab schaute, fühlte ich, wie mir die Tränen kamen. Um mannhaft zu wirken, kniff ich die Augen zusammen und blickte starr geradeaus, während mir die Erde durch die Finger rieselte. Mein Blick fiel auf die Brust meines jungen Cousins und auf das Foto meines Vaters, das sein weißes T-Shirt zierte. Mein Vater hatte sich auf der Abschlussfeier am Londoner Imperial College ablichten lassen, wahrscheinlich in der Hoffnung, das Bild eines Tages seinen Kindern und Enkeln zeigen zu können. Die Quaste seines Hutes hing ihm vor dem rechten Auge. Und er grinste mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der wusste, dass er im Begriff war, die Welt zu erobern. Ha.
Ich wandte die Augen von dem Foto ab und schüttelte die letzten Krümel Sand in das Grab meines Vaters. Meine Mutter stöhnte auf und fiel in Ohnmacht.
Anschließend waren die weiblichen Verwandten meines Vaters bereit, den nächsten Schritt der Trauerriten in Angriff zu nehmen. Es war Zeit, meiner Mutter die Haare abzurasieren. Da ich wusste, wie sehr mein Vater die langen Haare meiner Mutter geliebt und wie sehr er rückständige Gebräuche verabscheut hatte, suchte ich es vehement zu verhindern. Selbst als Tante Ada mir vorwarf, ich würde den reibungslosen Übergang meines Vaters in die Geisterwelt vereiteln, wich ich nicht von der Stelle. Es war meine Pflicht, meinen Vater zu ehren und meine Mutter zu beschützen. Ich war der Opara.
Am Ende war es meine Mutter, die mich aufforderte, aus dem Weg zu gehen.
»Was soll’s?«, fragte sie. »Der Mensch, für den ich die Haare getragen habe, ist nicht mehr, was liegt mir also daran?«
In dem Moment wurde in meinem Kopf ein Schalter umgelegt. Sie hatte recht, mein Vater war nicht mehr. Und es war meine Verantwortung, für die Menschen zu sorgen, die noch hier waren.
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