Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
nichts weniger als übernatürlich.
24
Meine regelmäßigen Fahrten nach Umuahia unternahm ich stets mit gemischten Gefühlen. Die nostalgischen Erinnerungen an die gute alte Zeit meiner Kindheit vermengten sich mit Wut über die harten Zeiten – unsere Armut, die Krankheit meines Vaters, sein vorzeitiger Tod. Neuerdings hatte sich in die Mischung noch ein neues Gefühl eingeschlichen – Beklommenheit, meiner Mutter gegenüberzutreten.
Auf den Straßen drehten sich Köpfe nach meinem Lexus um. Staunend und bewundernd verfolgten Augen seine rasante Fahrt. Ohne abzubremsen, hupte ich ein paar Fußgänger an, die auf einer von Schlaglöchern aufgerissenen Straße ihren Weg suchten. Die drei Männer sprangen erschrocken zur Seite. Meine Fenster waren geschlossen, und die Klimaanlage blies mit voller Kraft, so dass ich ihre Beschimpfungen kaum verstand.
Mir fiel auf, dass die Gaunervisagen nicht mehr nur auf Verkehrsschildern und Mülltonnen prangten. Wahlplakate klebten sogar auf Gesicht und Rumpf der Bronzestatue auf dem Michael Opara Square. Was für eine Vorstellung, dass Cash Daddys Gesicht sich bald dazugesellen würde. Er hatte seine Kandidatur für den Gouverneursposten noch nicht öffentlich bekanntgegeben, deshalb hing noch keines von seinen Plakaten. Wären da nicht die schmerbäuchigen, wichtig aussehenden Fremden gewesen, mit denen er im Büro in einem fort endlose Zusammenkünfte hatte, hätte ich angenommen, er hätte seinen Plan aufgegeben.
Ich parkte neben Mister Nwudes blauem Volkswagen .
Dem treuen Gefährt fehlte die Heckscheibe, die durch ein Stück Zellophanplane ersetzt worden war. Ich nahm mir vor, seiner Familie guten Tag zu sagen, bevor ich wieder fuhr. Wie üblich würde ich es als Geschenk für die Kinder deklarieren und ihnen etwas Geld geben.
Kaum hatte ich den Motor abgestellt, kreischte Charity auf. Nanosekunden später kam sie aus dem Haus gestürzt.
»Kings, ich wusste gar nicht, dass du heute kommst!« Wir umarmten uns.
»Was macht die Schule?«
»Wir haben bald Ferien«, sagte sie aufgeregt. »Kings, ich will über die Ferien zu dir kommen. Ich habe schon mit Mama geredet, und sie ist einverstanden.«
Meine Geschwister konnten bei mir kommen und gehen, wie sie wollten, ohne sich anzukündigen. Daran hatte ich sie mehrmals erinnert.
»Aber dann wird Mama allein zu Hause sein«, fuhr sie besorgt fort. »Eugene kommt wahrscheinlich erst nach Ostern nach Hause.«
»Mach dir keine Gedanken. Wir können sie oft besuchen fahren. Was ist mit deinem JAMB-Formular? Hast du es schon gekauft?«
»Schon letzte Woche.«
»Gut, dann füllen wir es zusammen aus, bevor ich fahre.« Ich gab Charity die McVitie’s -Kekse und die High Heels, die ich ihr gekauft hatte. Sie begleitete mich zum Schlafzimmer meiner Mutter.
»Mama, Kings ist da«, trällerte sie.
Als ich die Tür aufmachen wollte, hielt Charity meine Hand fest.
»Kings«, flüsterte sie mit zur Seite geneigtem Kopf und einem bittenden Blick, »kann ich dein Telefon benutzen? Bitte?«
Zwei von Charitys Freundinnen hatten bei sich zu Hause einen Festnetzanschluss. Wenn ich da war, wollte sie jedes Mal von meinem Handy aus bei ihnen anrufen, obwohl sie die beiden fast täglich in der Schule sah. Ich gab ihr das Telefon, und ausgelassen wie ein Kätzchen hüpfte sie damit ins Wohnzimmer.
Meine Mutter lag mit zwei Kissen im Rücken auf dem Bett und stierte vor sich hin. Für eine Witwe, deren Erstgeborener zu Besuch kam, erschien ihr Lächeln ein paar Sekunden zu spät.
»Mama.«
»Kings.«
Ich setzte mich neben sie und ließ mich von ihr in die Arme schließen. Selbst das war nicht so liebevoll, wie es hätte sein sollen. Ihr Gesicht erschien mir zerfurchter als bei meinem letzten Besuch. Sie trug eines ihrer alten Kleider mit Flecken vom klebrigen Saft der unreifen Plantanen, die sie einst für meinen Vater gerieben hatte. Vielleicht war es ihr Alter, vielleicht war es auch die Trauer, aber das Haupthaar meiner Mutter brauchte lange, um nachzuwachsen. Und zwischen den grauen Strähnen konnte ich deutlich die Kopfhaut erkennen. Anders als früher war die neue Haardecke dünn.
»Mama, wie ist es dir ergangen?«
»Gut.«
Die Wange an ihr Gesicht gedrückt, ließ ich den Blick durch das Zimmer schweifen. Alles war genauso wie damals, als mein Vater noch gelebt hatte. Sein Pullover hing immer noch am Haken des Kleiderschranks. Seine Badelatschen standen ordentlich am Fuß des Bettes, als ob er gleich hineinschlüpfen
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