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Die Meerhexe

Die Meerhexe

Titel: Die Meerhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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aber das wußte er nicht, denn obwohl er Schotte war, fehlte ihm die diesem Volk nachgesagte Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen.
    Der erste unangenehme Vorfall ereignete sich, während Lord Worth auf dem Weg zum Festland war. Ein großer Kombiwagen hielt vor dem Portal seines Hauses. Ihm entstiegen fünf ziemlich große und kräftig gebaute Männer mit Strumpfmasken. Einer von ihnen trug meterweise Wäscheleine über dem Arm, und ein anderer eine große Rolle Klebeband. Alle waren bewaffnet. MacPherson, der ältliche Obergärtner, machte gerade seine übliche frühmorgendliche Runde, um nachzuschauen, ob seine geliebten Pflanzen und Blumen während der Nacht irgendwelche Schäden erlitten hatten, als er plötzlich die Männer auf sich zukommen sah. Selbst wenn der Schreck ihm nicht die Glieder gelähmt und die Sprache verschlagen hätte – seine Chance wäre gleich null gewesen. Innerhalb einer Minute lag er verschnürt und mit Klebeband über dem Mund im Gebüsch. Der Anführer der Gruppe, ein gewisser Durand, drückte auf die Klingel. Durand, der sich immer wieder unwiderstehlich von Geldinstituten angezogen fühlte, war bereits dreimal verurteilt worden und genoß einen zweifelhaften Ruf, der durch die Tatsache, daß er seit langer Zeit ein Freund und Mitarbeiter von John Cronkite war, nicht gerade verbessert wurde. Als sich nach einer halben Minute im Haus noch immer nichts rührte, klingelte er ein zweites Mal. Schließlich öffnete sich langsam die Tür: Jenkins stand da im Morgenrock, mit vom Schlaf zerrauften Haaren und blinzelte verschlafen. Beim Anblick der Pistole in Durands Hand wurde er jedoch schlagartig hellwach. Als Durand auf den Schalldämpfer tippte, den er auf seine Waffe geschraubt hatte, wußte Jenkins als alter Fernsehhase und Krimispezialist sofort Bescheid.
    »Sie wissen, was das ist?« fragte Durand.
    Jenkins nickte schweigend.
    »Wir wollen niemandem in diesem Haus etwas tun. Es wird Ihnen nichts passieren, wenn Sie genau das tun, was man Ihnen sagt. Unter anderem schließt das mit ein, daß wir es nicht mögen, angelogen zu werden. Haben Sie das verstanden?«
    Jenkins hatte verstanden.
    »Wieviel Personal ist im Haus?«
    Jenkins' Stimme zitterte merklich. »Nun, ich bin da – ich bin der Butler …«
    »Daß Sie da sind, sehen wir«, sagte Durand geduldig.
    »Dann sind noch zwei Diener da, ein Chauffeur, ein Funker, eine Sekretärin, eine Köchin und zwei Dienstmädchen. Und dann haben wir auch noch eine Putzfrau, aber die kommt erst um acht.«
    »Kleb ihm den Mund zu«, befahl Durand seinem Nebenmann. Der Befehl wurde postwendend ausgeführt.
    »Tut mir leid, aber wir wollen nichts riskieren, daß Sie auf komische Ideen kommen. Und jetzt zeigen sie uns die acht Schlafzimmer.«
    Widerwillig ging Jenkins voraus. Zehn Minuten später waren alle acht Bediensteten außer Gefecht gesetzt. »Und jetzt«, kommandierte Durand, »zu den beiden jungen Damen.«
    Jenkins führte sie zu einer Tür. Durand wählte drei seiner Männer aus und sagte leise: »Der Butler wird euch zu dem anderen Mädchen bringen. Paßt auf, was sie einpackt – achtet vor allem auf ihre Handtasche.«
    Gefolgt von einem seiner Männer trat Durand in das Zimmer. Die Pistole hatte er in das versteckte Halfter geschoben, um nicht zuviel Aufregung zu verursachen. Daß das Bett nicht leer war, konnte man deutlich an der schwarzen Haarmähne erkennen, die unter der Bettdecke hervorlugte. Durand trat neben das Bett und sagte im Konversationston: »Bitte stehen Sie auf, Ma'am.« Normalerweise war Sanftheit nicht sein Fall, aber er wollte keinen hysterischen Ausbruch provozieren.
    Und Marina wurde nicht hysterisch. Sie drehte sich im Bett herum, sah ihn mit halbgeschlossenen Augen verschlafen an, um sie gleich darauf weit aufzureißen und ihn einen Augenblick lang entsetzt anzustarren. Aber sie faßte sich sofort wieder, angelte nach ihrem Morgenrock, setzte sich kerzengerade auf und wickelte sich geschickt hinein.
    »Wer sind Sie und was wollen Sie hier?« fragte sie, aber ihre Stimme war nicht ganz so entschieden, wie sie es gern gehabt hätte – sie zitterte ein ganz klein wenig.
    »Nun hör sich das mal einer an«, sagte Durand bewundernd. »Man könnte glatt denken, sie wäre daran gewöhnt, in aller Herrgottsfrühe entführt zu werden.«
    »Dann ist das also hier eine Entführung?«
    »Ich fürchte ja.« Durand blickte sie aufrichtig entschuldigend an.
    »Wohin bringen Sie mich?«
    »Zu einer kleinen Sonneninsel.«

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