Die Meerhexe
Obergärtner seinen schottischen Akzent immer noch nicht verloren. Je größerem Streß er ausgesetzt war, um so stärker wurde der Akzent, und der Wortschwall, der aus seinem Munde kam, nachdem Mitchell das Klebeband entfernt hatte, war völlig unverständlich – was aber in Anbetracht dessen, was er sehr wahrscheinlich sagte, kein großes Unglück war.
Sie traten durch die Vordertür ins Haus. Jenkins, der aus sah, als säße er gemütlich im Sessel und ruhe sich aus, sah ihnen wütend entgegen, auch wenn seine Wut nicht ihnen galt. Seine Laune wurde allerdings keineswegs besser, als Mitchell ihm mit einem schmerzhaften Ruck das Klebeband vom Mund riß. Er holte tief Luft, um zu protestieren, aber Mitchell ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.
»Wo schläft Jim?« fragte er.
Jim war der Funker.
Jenkins starrte ihn fassungslos an. War das eine Begrüßung für einen Mann, der durch die Hölle gegangen war? Wo blieben da Mitgefühl und besorgte Fragen? Mitchell packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn.
»Sind Sie taub? Wo ist Jims Zimmer?«
Jenkins schaute in das zornige Gesicht dicht vor dem seinen und beschloß, klein beizugeben. »Hinten, im ersten Stock, das erste rechts.«
Mitchell stürzte davon, und ein paar Sekunden später machte auch Roomer sich auf den Weg. »Sie lassen mich doch nicht etwa allein, Mr. Roomer«, rief Jenkins weinerlich hinter ihm her.
Roomer drehte sich um und sagte beruhigend: »Ich gehe in die Küche und hole ein schönes scharfes Messer, um Sie dann endlich zu befreien. Mr. Mitchell hat das einzige Messer, das wir haben, mitgenommen.«
Jim Robertson war jung, hatte ein frisches Gesicht und kam gerade vom College, wo er eine Ausbildung als Elektroingenieur abgeschlossen hatte. Er saß auf seinem Bett, massierte sich die jetzt von den Fesseln befreiten Handgelenke und zuckte leicht zusammen, als das Blut allmählich wieder zu zirkulieren begann. Durands Männer hatten die Knoten mit echter Begeisterung geknüpft.
»Wie geht es Ihnen jetzt?« fragte Mitchell.
»Ich bin sauwütend.«
»Das wundert mich nicht. Sind Sie in der Lage, ihre Geräte zu bedienen?«
»Ich bin zu allem in der Lage, wenn es dazu beiträgt, diese verdammten Mistkerle zu schnappen.«
»Haben Sie sich die Kidnapper genau ansehen können?« fragte Mitchell.
»Ich kann Ihnen eine allgemeine Beschreibung geben.« Er hielt inne und starrte Mitchell an. »Sagten Sie eben Kidnapper?«
»Es sieht so aus, als ob die Töchter von Lord Worth entführt worden seien.«
»Guter Gott!« Es dauerte eine Weile, bis Robertson diese Neuigkeit verdaut hatte. »Da wird ja die Hölle los sein.«
»Es wird sicher einen ganz schönen Wirbel geben«, stimmte Mitchell zu. »Wissen Sie, wo Marinas Zimmer ist?«
»Ich zeige es Ihnen.«
Das Zimmer sah ganz nach einem hastigen und ungeplanten Aufbruch aus. Schranktüren und Kommodenschubladen standen offen, und auf dem Boden lagen einige achtlos hingeworfene Kleider. Aber das alles interessierte Mitchell nicht. Er untersuchte die Schubladen ihres Nachttisches, und in der zweiten fand er, was er zu finden gehofft hatte – einen Paß der Vereinigten Staaten. Er schlug ihn auf und sah, daß er noch gültig war. Insgeheim vermerkte er, daß sie ihn in bezug auf ihr Alter angeschwindelt hatte – sie war zwei Jahre älter, als sie immer behauptete. Mitchell legte den Paß in die Schublade zurück und lief mit Robertson zum Funkraum hinunter. Der Funker sah Mitchell fragend an.
»Wir brauchen den Polizeichef des County. Sein Name ist McGarrity. Ich will nur mit ihm sprechen, mit niemandem sonst. Sagen Sie, es geht um Lord Worth, das müßte eigentlich wirken. Und wenn Sie ihn dran haben, geben Sie das Gespräch an mich weiter.«
Während Robertson sich um die Verbindung bemühte, betrat Roomer den Raum. »Ich habe noch sieben Leute vom Personal gefunden – alle sorgfältig verschnürt. Das macht neun im ganzen. Ich habe es Jenkins überlassen, sie zu befreien. Seine Hände zittern zwar so, daß er sicherlich ein oder zwei Arterien ankratzt, aber die Befreiung von ältlichen Köchinnen und jungen Dienstmädchen gehört nun mal nicht zu meinen Pflichten.«
»Die müssen ja ein paar Kilometer Seil dabei gehabt haben«, sagte Mitchell geistesabwesend. Er dachte gerade darüber nach, wieviel er dem Polizeichef verschweigen sollte.
Roomer fragte mit einem Blick auf den Funker: »Wen versucht er denn zu erreichen?«
»McGarrity.«
»Diesen heuchlerischen, alten
Weitere Kostenlose Bücher