Die Meerhexe
Greenshaw nickte. »Dann machen Sie sie bitte zurecht. Können Sie auch während des Fluges Transfusionen machen?«
»Das ist kein Problem. Ich nehme an, Sie wünschen, daß ich die Patienten begleite.«
»Wenn Sie so freundlich wären. Ich weiß, daß es viel verlangt ist, aber ich möchte gern, daß Sie hierher zurückkommen, wenn die beiden in den richtigen Händen sind.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein. Ich bin jetzt neunundsechzig und hatte eigentlich angenommen, daß ich nichts mehr erleben würde – ich habe mich geirrt.«
Marina starrte sie ungläubig an. Die drei Männer machten einen völlig ruhigen und gelassenen Eindruck. Melinda schien in ein Koma verfallen zu sein, aber in Wahrheit stand sie nur unter schweren Beruhigungsmitteln. »Ihr seid alle verrückt«, sagte Marina voller Überzeugung.
»Das ist das, was die Insassen der Irrenanstalten von denen behaupten, die draußen leben. Und vielleicht haben sie sogar recht«, sagte Mitchell. »Aber jetzt ist keine Zeit, sich über derartige Fragen den Kopf zu zerbrechen. Du, Marina, fliegst mit zurück nach Florida. Dort bist du in Sicherheit – dein Vater wird dafür sorgen, daß du rund um die Uhr bewacht wirst. Kein Präsident der Vereinigten Staaten ist je so beschützt worden, wie du es sein wirst.«
»Das ist ja fabelhaft. Ich liebe es, wenn viel Theater um mich gemacht wird, wenn ich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehe. Dein Plan hat nur eine schwache Stelle – ich fliege nicht mit. Ich bleibe bei meinem Vater.«
»Genau darüber werde ich jetzt mit ihm sprechen.«
»Willst du auf dem Weg zu ihm nicht vielleicht wieder jemanden umbringen?«
Mitchell streckte die Hände aus und spreizte die Finger – sie zitterten kein bißchen.
»Später«, schloß Roomer daraus. »Er scheint im Augenblick andere Dinge im Kopf zu haben.«
Mitchell verließ den Raum, und Marina fuhr Roomer wütend an: »Du bist genauso schlimm wie er.«
»Ich bin ein kranker Mann – du darfst mich nicht aufregen.«
»Du und deine Erklärungen von wegen Wut kaschieren und so. Er ist einfach ein Killer, weiter nichts.«
Roomers Gesicht verschloß sich. »Ich kann nicht behaupten, daß ich mich über die Aussicht freue, eine geistig zurückgebliebene Schwägerin zu bekommen.«
Sie war schockiert, und sie zeigte es auch. »Ich kenne euch eigentlich gar nicht, nicht wahr?« Ihre Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken.
»Nein. Weißt du übrigens, wieviel uns euer Vater geboten hat, damit wir euch nach Hause bringen?« Roomer lächelte.
»Ich kann ja im Moment nicht viel dazu beitragen, aber Mike wird es auch allein schaffen.«
»Wieviel hat er euch geboten?«
»Er hat uns freigestellt, den Preis zu bestimmen. Eine Million oder hundert Millionen – er war bereit zu zahlen.«
»Und wieviel habt ihr verlangt?« Ihr Gesicht war ausdruckslos.
Roomer seufzte. »Armer Mike – wenn ich daran denke, daß er dich für das Nonplusultra hält! Und ich bin auch arm dran, denn schließlich muß ich ja auch mit dir leben – wenn auch nur mittelbar. Aber um deine Frage mit einem Klischee zu beantworten: es gibt Dinge, die man nicht mit Geld kaufen kann. Ich wäre dir also sehr dankbar, wenn du uns in Zukunft nicht mehr derartig beleidigen würdest! Aber da wir schließlich von irgend etwas leben müssen, werden wir ihm natürlich doch eine Rechnung schicken.«
»Worüber?«
»Über verbrauchte Munition.«
Sie kam zu ihm herüber, kniete sich hin und küßte ihn. Roomer schien zu schwach, um sich zu wehren. Dr. Greenshaw mischte sich ein: »Lady Marina, der Patient hängt nicht nur an einer Bluttransfusion, wir müssen auch auf seinen Blutdruck achten.«
»Mein Blutdruck gibt keinerlei Anlaß zu Beschwerden«, sagte Roomer.
Sie küßte ihn noch einmal. »Habe ich mich jetzt ausreichend entschuldigt?« Roomer lächelte und schwieg. »Du hast gesagt, er habe vor Wut gezittert. Kann ihn irgend jemand aufhalten, wenn er in einer solchen Verfassung ist? Könnte ich es?«
»Nein. Vielleicht später einmal.«
»Der einzige, der es könnte, wärst du, stimmt's?«
»Ja.«
»Aber du hast es nicht getan.«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil sie Waffen hatten.«
»Ihr habt doch auch Waffen.«
»Ja. Aber wir sind keine Strolche, die ihre Waffen für üble Zwecke benutzen.«
»Ist das der einzige Grund?«
»Nein.« Er sah zu Melinda hinüber: »Da liegt ein weiterer Grund. Wenn Kowenski und Rindler nicht solche lausigen Schützen gewesen wären,
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