Die Meister der Am'churi (German Edition)
bekommen hatte. Die starke Verbindung, die sie als Kinder besessen hatte, war nicht von der Zeit zerstört worden.
„Da ist alles kaputt, Knochen, Muskeln, Sehnen, einfach alles!“, knurrte sie vorwurfsvoll. „Sag mir nicht, dass du davon nicht eingeschränkt wirst!“
„Es heilt bereits. Das Jucken ist lästig, aber schon in zwei Tagen wird sich die Wunde vollständig geschlossen haben.“
Lynea schüttelte den Kopf. „Das reicht nicht.“
„Was ist los?“, fragte Ni’yo alarmiert. „Brauchst du Hilfe?“
„Ich nicht, nein. Muria schickt mich, ich soll dich und Jivvin holen. So, jetzt hältst du still.“ Sie wandelte sich zurück in eine Wölfin. Ni’yo musste sich beherrschen, als das riesige Raubtier über ihm aufragte und über seine Wunde leckte. Es brannte, der Schmerz war kaum weniger stark als in dem Moment, in dem das Schwert ihn durchbohrt hatte. Dann aber breitete sich wohltuende Taubheit aus und verdrängte Schmerz, Juckreiz und das Pochen vollständig. Überrascht blickte er auf, in Lyneas Gesicht, die sich bereits wieder zu einem Menschen gewandelt hatte und konzentriert über seine Schulter strich.
„Die Kinder Murias heilen nicht aus sich heraus so schnell wie Drachenkrieger, doch wir wissen uns trotzdem zu helfen“, sagte sie lächelnd. Ni’yo tastete nach der Wunde – sie hatte sich geschlossen. In wenigen Tagen würde er gar nichts mehr davon spüren. „Wir brauchen in gefährlichen Zeiten die Möglichkeit, einem verletzten Rudelmitglied zu helfen. Normalerweise raubt es viel Kraft, das riskieren wir nur, wenn es wirklich notwendig ist; bei dir war es allerdings leicht. Anscheinend vertragen sich Am’churs und Murias Gaben gut miteinander.“
Dankbar nickte er ihr zu und stand auf.
„Jivvin wird nicht glücklich darüber sein geweckt zu werden, aber es scheint, dass es dringend ist?“ Er ließ den Satz als Frage zwischen ihnen stehen. Lynea legte ihm einen Arm um die Hüfte und zog ihn vorwärts. „Es ist sehr wichtig, auch wenn es keinen von uns persönlich betrifft.“ Sie stockte und ließ ihn sofort los, als sie spürte, wie er sich aus Überraschung vor so viel Nähe versteifte. „Verwandte Wölfe berühren sich, Ni’yo“, sagte sie ernst. „Verzeih, ich weiß, dass du einsam leben musstest, ich dachte, Jivvin hätte deine Scheu mildern können.“
Lächelnd ergriff er ihre Hand und drückte sie. „Das hat er, Lynea. Jivvin hat mich gerettet. Du hättest dich mir gar nicht nähern können, wenn es anders gewesen wäre.“
Mit diesen Worten betraten sie die Hütte.
4.
Jivvin schreckte mit den Instinkten des Kriegers hoch, als er Schritte hörte. Mit dem Chi’a in der Hand sprang er aus dem Bett, hielt dann inne, als er völlig wach wurde und Ni’yos Gestalt in Begleitung eines Fremden erkannte. Nur wenig Mondlicht fiel durch die offene Tür, es reichte aber, um zu erahnen, dass dieser Fremde eine Frau sein musste – eine nackte Frau, lediglich von ihrem fast knielangen Haar verhüllt, wie er sah, als Ni’yo eine Laterne entzündete.
„Jivvin, das ist Lynea, meine Schwester. Ich habe von ihr erzählt.“
„Ja, hm …“ Jivvin wurde bewusst, dass er ebenso nackt war wie die junge Frau; er spürte, wie er verlegen errötete. Sie zwinkerte ihm zu, während Ni’yo zu der Truhe schritt, in der sie beide ihre Kleidung aufbewahrten, und nichts bemerkte.
„Du hast gut gewählt, Bruder, dein Gefährte gefällt mir“, sagte sie mit einem mehrdeutigen Lächeln. Beinahe wäre Jivvin in die Knie gegangen bei der intensiven Reaktion seines Körpers, die ihn völlig unvorbereitet traf. Was war das denn? Hatte er so lange keine nackte Frau mehr gesehen, dass er gleich …
„Freut mich“, quetschte er hervor und versuchte dabei, sich unauffällig so zur Seite zu drehen, dass es nicht unhöflich wirkte.
„ Das kann ich sehen“, erwiderte sie mit samtiger Stimme.
Ni’yo wandte den Kopf und blickte stirnrunzelnd zwischen ihnen hin und her, offenkundig nicht fähig, die Spannung zwischen ihnen und Lyneas Worten in Zusammenhang zu bringen. Jivvin nutzte den Moment, um sich hastig sein Hemd überzustreifen; er spürte Lyneas Blick auf sich ruhen, während er in seine Hose schlüpfte und dann ein wenig steifbeinig zu Ni’yo hinüberging.
„Du packst?“, fragte er betont sachlich.
„Lynea wurde von Muria geschickt, um uns zu holen. Sie wird uns vielleicht gleich sagen, worum es geht“, erwiderte Ni’yo und nickte seiner Schwester zu. Die
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