Die Meisterdiebin
daran, dass er schlecht geschlafen hatte. Immer wieder war er schweißnass aus einem Traum erwacht, in dem die unbekannte Frau die Hauptrolle spielte. Ihr Gesicht hatte er nicht erkennen können, nur ihr glänzendes Haar. Und er hatte ihre Finger gespürt. Ihre Finger und ihre Lippen, als sie ihn küsste, während ihr Körper sich an seinem bewegte. Er hatte ihr in die Augen geschaut. Die Augen einer Raubkatze.
Jetzt, am hellen Tag, war ihm klar, was der Traum bedeutete. Eine Raubkatze. Ein Panter. Die Frau war gefährlich.
Kopfschüttelnd verdrängte er das Bild und goss sich den dritten Kaffee ein.
Beryl biss in einen Toast mit Orangenmarmelade. „Sag mal, Jordie, woher kennst du diese Nimrod Associates? “
„Wie?“ Schuldbewusst sah er seine Schwester an. „Oh, ich weiß nicht.“
„War es nicht gestern Abend?“ meinte Richard. Automatisch nahm Jordan sich eine Scheibe Toast. „Ja, ich glaube, Veronica erwähnte den Namen.“
Beryl ließ ihn nicht aus den Augen. Das war der Nachteil, wenn man seiner Schwester so nahe stand. Sie merkte sofort, wenn er auswich.
„Du scheinst dich gut mit Veronica Cairncross zu verstehen“, sagte sie.
„Na ja.“ Er lachte. „Wir versuchen, Freunde zu bleiben.“
„Wenn ich mich recht entsinne, wart ihr irgendwann mal mehr als Freunde.“
„Das ist lange her.“
„Ja. Bevor sie geheiratet hat.“
Jordan setzte eine erstaunte Miene auf. „Du glaubst doch nicht etwa … Meine Güte, das kann nicht dein Ernst sein …“
„Du benimmst dich in letzter Zeit so seltsam. Ich will nur herausfinden, was mit dir los ist.“
„Nichts, Beryl. Mit mir ist absolut nichts los.“ Abgesehen davon, dass ich kriminell geworden bin, dachte er und nippte am heißen Kaffee.
„Seht mal, da ist die Polizei“, rief Richard, und Jordan hätte sich fast verschluckt.
Ein Streifenwagen hielt in der Einfahrt. Constable Glenn stieg aus. Seine Uniform saß wie immer tadellos. Er winkte dem Trio auf der Terrasse zu.
Das war’s. Gleich werde ich festgenommen, und morgen istmein Bild in allen Zeitungen, schoss es Jordan durch den Kopf, als der Polizist die Stufen heraufkam.
„Guten Morgen“, begrüßte Constable Glenn sie fröhlich. „Darf ich fragen, ob Lord Lovat zu Hause ist?“
„Sie haben ihn gerade verpasst“, erwiderte Beryl. „Onkel Hugh ist für eine Woche nach London gefahren.“
„Oh. Dann sollte ich mit Ihnen reden.“
„Setzen Sie sich doch.“ Lächelnd zeigte Beryl auf einen Korbsessel. „Frühstücken Sie mit uns.“
Großartig, dachte Jordan. Was würde sie ihm noch anbieten? Tee? Kaffee? Meinen Bruder, den Dieb?
Constable Glenn nahm Platz und strahlte die Tasse Kaffee an, die sie ihm hinstellte. Er nahm einen Schluck. „Ich nehme an“, begann er und stellte die Tasse ab, „Sie haben bereits von dem Einbruch bei Mr. Delancey gehört.“
„Ja, gestern Abend. Haben Sie schon eine Spur?“ erkundigte sich Beryl.
„Allerdings.“ Glenn lächelte Jordan zu.
Jordan lächelte matt zurück. „Ausgezeichnete Polizeiarbeit“, lobte Beryl. „Nun, nicht ganz“, gab der Constable zu. „Eher ein Fall von Achtlosigkeit. Die Einbrecherin hat ihre Mütze verloren. Wir haben sie in Mr. Delanceys Schlafzimmer gefunden.“
„Einbrecherin?“ wiederholte Richard. „Sie meinen, es war eine Frau?“
„Davon gehen wir aus. Vorläufig. In der Mütze befand sich ein sehr langes blondes Haar, mehr als schulterlang. Kennen Sie jemanden, auf den das passen würde?“ Wieder sah er Jordan an.
„Nicht, dass ich wüsste“, sagte Jordan rasch. „Das heißt … unter unseren Bekannten gibt es einige Blondinen, aber keine davon ist eine Einbrecherin.“
„In diesem Jahr hat es in dieser Gegend schon drei Einbrüche gegeben. Und die Täterin kann durchaus jemand sein, den Sie kennen. Mr. Tavistock, Sie würden sich wundern, wozu manche Menschen fähig sind, selbst in Ihren Kreisen.“
Jordan räusperte sich. „Kaum zu glauben.“
„Diese Frau, wer immer sie ist, ist ziemlich unverfroren. Sie hat im Erdgeschoss eine verschlossene Tür geknackt und ist nach oben gelangt, ohne den Butler zu wecken. Erst dort wurde sie unvorsichtig, machte Lärm und wurde verjagt.“
„Wurde etwas gestohlen?“ fragte Beryl.
„Nicht soweit Mr. Delancey weiß.“
Also hatte Delancey den Diebstahl der Briefe nicht gemeldet.
Oder er hatte ihr Fehlen noch gar nicht bemerkt.
„Diesmal hat sie einen Fehler begangen“, meinte Constable Glenn. „Aber vielleicht schlägt sie
Weitere Kostenlose Bücher