Die Meisterin der schwarzen Kunst
gesamten Viertel etwas Ehrwürdiges. Zweifellos wohnten hier die reicheren Bürger der Stadt.
Henrika blickte sich staunend um.
«Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen», behauptete Barbara mit großen Augen, während sie sich dem Haus näherten. «Aber Gespenster gibt es nicht, habe ich recht, Vater?»
Carolus strich seiner Tochter liebevoll über die Wange und nickte. «So du im Glauben Gott erkennst, hast du zu fürchten kein Gespenst. Daran habe ich mich mein Lebtag lang gehalten und bin nie schlecht damit gefahren, auch wenn die geistlichen Würdenträger anderer Ansicht sind.»
Henrika blickte den Meister beeindruckt an. Obwohl oder vielleicht gerade weil er der Sohn eines Geistlichen war, lehnte er Aberglaube und Teufelsspuk von Herzen ab. Von einem tiefen Glauben geprägt, betete er und studierte in seinem Haus die Heilige Schrift, doch das hielt ihn nicht davon ab, sich mit der Welt und ihren Geheimnissen zu beschäftigen und eigene Schlüsse zu ziehen. Carolus war kein Gelehrter wie Barthel, der allem auf den Grund gegangen und auf vieles eine Antwort gehabt hatte, aber er war ein Mann mit tausend Fragen und daher wie geschaffen dafür, eine Gazette zu veröffentlichen.
«Ich würde es übrigens begrüßen, wenn du über alle wichtigen Neuigkeiten, die auf der Messe weitergegeben werden, einen Bericht führst», sagte Carolus zu Henrika. «Schau dir morgen die Menschen an, die über den Markt und durch die Buchgasse schlendern. Unterhalte dich mit ihnen. Versuche herauszufinden, woher sie kommen und was sie auf die Messe führt. Vergiss aber auch nicht, dich über neue Bücher und Schriften zu informieren. Straßburg ist weit, und wir würden unseren Magistern an der Universität sicherlich eine Freude machen, wenn wir in einer Ausgabe darüber berichten, welche Gedanken zurzeit im Reich ausgetauscht werden.»
Henrika konnte ihr Glück kaum fassen. Ohne es zu wollen streifte ihr Blick das unförmige Gebilde an Barbaras Hals. Hatte die Alte schließlich doch recht behalten? Barbara musste das merkwürdige Ding so schnell wie möglich weitergeben. Sie konnte Glück gebrauchen.
«Ihr meint, ich darf ohne fremde Hilfe für die Gazette schreiben?»
Carolus nickte. «Es wird höchste Zeit, dass du mehr tust, als Botschaften zu ordnen. Jetzt sollten wir uns aber beeilen, bevor es ganz dunkel wird. Mein alter Freund de Bry wird dir gefallen, Henrika. Seine Familie stammt wie die deines früheren Dienstherrn aus den niederländischen Provinzen und hat begnadete Künstler hervorgebracht, deren Ruhm durch ganz Europa gedrungen ist.»
Bei der Erwähnung der niederländischen Provinzen wurde Henrika an den Flamen und die versäumte Gelegenheit erinnert, in Straßburg Kontakt mit ihm aufzunehmen. Versucht hatte sie es wohl. Nach dem verwirrenden Erlebnis mit Laurenz war sie im Morgengrauen zum Haus des Gerichtsvogts gelaufen, um mit ihm zu sprechen. Doch ein verschlafener Diener hatte sie mit der Begründung abgewiesen, sein Herr erlaube zu dieser frühen Stunde noch keinem Besucher, sein Haus zu betreten. Wenigstens hatte er versprochen, ein paar hastig dahingekritzelte Zeilen für den Gast seines Herrn entgegenzunehmen, aber sie bezweifelte, dass der Flame sie zu Gesicht bekommen hatte und auf ihre Rückkehr wartete.
Nachdem Laurenz sein Quartier für die Nacht bezogen hatte, streifte er durch die Stadt. Schließlich fand er ein Wirtshaus, aus dem Lärm, Gelächter und die Klänge einer Flöte auf die Straße drangen. In der Schankstube ging es lustig zu. Schüsseln mit dampfenden Bratenstücken wurden gereicht, einige Männer tanzten gar zu den Tönen der Flötenmusik. In einem Winkel hockten drei Männer, die sich dem Genuss des Tabaktrinkens hingaben. Laurenz hatte bereits auf früheren Reisen Bekanntschaft mit dem scharfen Kraut gemacht, das aus Amerika stammte und in den letzten Jahren im Reich immer beliebter geworden war. Er konnte nicht verstehen, was die Männer an dem beißenden Qualm gut fanden, ebenso wenig verstand er, warum man das Einatmen des Rauches als Tabaktrinken bezeichnete. Um eine durstige Kehle zu befriedigen, gab es doch beileibe andere Mittel. Laurenz kniff die Augen zusammen und sah sich nach einem freien Stuhl um, auf dem er seinen Krug Bier leeren konnte.
Obwohl ihm nicht nach Gesellschaft zumute war, quetschte er sich auf eine Bank neben zwei Kaufmannsgehilfen. Wie er aus ihrem Gespräch erfuhr, besuchten sie die Frankfurter Messe zweimal im Jahr, um Pergament zu
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