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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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der letzten Nacht. Sie war verwirrt, dazu kamen wieder stechende Kopfschmerzen, die sie bereits plagten, seit sie über die wackelige Planke auf das Flussschiff geschritten war. Nun hockte sie frierend auf einem Ballen Samt, den einer der mitreisenden Kaufleute ihr großzügigerweise als Sitzgelegenheit überlassen hatte. Am Bug des schlanken Rheinschiffes plauderte Carolus mit David und einem Kannengießer, der jedoch nur bis Mainz reisen wollte, wo er seine Werkstatt betrieb.
    «Du hast es schon wieder getan», beschwerte sich Barbara und zog eine Grimasse.
    «Verrätst du mir auch, womit ich dir auf die Nerven gehe?»
    Das Mädchen schob die Unterlippe vor. «Du zuckst zusammen und schaust dann so komisch, als ob du Angst hättest, jemand könnte sich gleich von hinten an dich heranschleichen und dich über Bord schubsen.»
    Henrika streckte die Zunge heraus und rollte mit den Augen, bis das Mädchen glücklich kicherte. Im nächsten Moment brachen auch die Lohnknechte, die unter einem Holzdach würfelten und dabei die Tonpfeife kreisen ließen, in schallendes Gelächter aus. Henrika wagte einen Blick. Laurenz, der es für gewöhnlich unter seiner Würde hielt, mit Knechten zu trinken, hatte sich zu den Männern gesellt, kaum dass die Stadtmauer hinter ihnen verschwunden war. Von Henrika hielt er sich fern, was sie einerseits begrüßte, andererseits aber auch wütend machte. Sie war froh, dass sie nicht allein war. Barbaras kindliches Geplapper lenkte sie von allzu düsteren Gedanken ab. Lächelnd sah sie zu, wie das Mädchen den Männern zuwinkte, die das Flussschiff mit ihren Treidelpferden entlang des Uferwegs begleiteten.
    Die Schifffahrt führte sie vorbei an Wiesen, die aufgrund des anhaltenden Regens der vergangenen Tage in sattem Grün aufleuchteten, an kleinen Wäldchen, Burgen und Weingärten. Bauern arbeiteten auf den Feldern, während ein Stück flussabwärts Frauen volle Waschkörbe die Böschung hinabtrugen.
    Es war der erste schöne Tag seit langem. Der Himmel hatte seine graue Farbe gegen ein zartes Blau eingetauscht. Von Zeit zu Zeit brachen Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Allmählich begann Henrika die Reise zu genießen, und sie bedauerte es fast, als ein schrilles Hornsignal ankündigte, dass sich die Reise ihrem Ende zuneigte. Sogleich herrschte an Bord des Treidelschiffes Betriebsamkeit. Der Kaufmann bat Henrika, sich von dem Samtballen zu erheben, damit seine Knechte das kostbare Tuch verladen konnten, und auch der Kannengießer räumte seine Waren zusammen.
    Nachdem sie in Mainz ein weiteres Schiff bestiegen und das letzte Wegstück auf dem Main zurückgelegt hatten, erreichten sie Frankfurt kurz vor Schließen der Tore. In der Stadt läuteten die Glocken. Ein endloser Zug von Menschen drängte auf die Brücke zu, die über den Stadtgraben führte. Henrika hielt Barbara an der Hand und passte auf, dass das Mädchen den unzähligen Eselskarren, Kutschen und Gespannen nicht zu nahe kam. Ein unglaubliches Stimmengewirr mischte sich mit dem Geblöke von Schafen und dem Geschnatter von Gänsen, welche Bauersfrauen in hölzernen Käfigen vor sich her bugsierten. Suchend blickte sich Henrika nach Meister Carolus um. Seiner finsteren Miene entnahm sie, dass er nicht mit einem derartigen Andrang gerechnet hatte. Er und David standen bei einer Gruppe von bärtigen Kaufleuten, die Fellmützen und bodenlange Gewänder trugen. Laurenz war nirgends zu sehen, er schien in der Menge untergetaucht zu sein. Während die Kutschen der Adeligen und Geistlichen rasch durchgewinkt wurden, kam es Henrika vor, als würden sie keinen Schritt vorankommen. Doch der Unmut der wartenden Menschenmenge wurde von den Torwächtern energisch niedergebrüllt. Die Hökerweiber, die mit Rapsöl, Bienenwachs für Kerzen und Wolle handelten, wurden ebenso wie die ortsfremden Handwerker einer eingehenden Prüfung unterzogen, bevor der Schlagbaum geöffnet und der Zutritt zur Stadt gewährt wurde.
    Barbara, der das alles zu lange dauerte, fing an zu schniefen und sich über ihre kalten Füße zu beklagen.
    «Vater war doch schon oft auf der Messe», jammerte sie. «Warum hat er nur keine Kutsche gemietet?»
    Henrika blickte auf die Stiefel, die ihr Barbaras Mutter kurz vor der Abreise aus Straßburg mit einem schüchternen Lächeln überreicht hatte. Sie waren nach dem Fußmarsch von der Anlegestelle zum Stadttor mit Schlammspritzern bedeckt, aber zumindest wärmten sie die Füße.
    «Habt ihr Herbergsscheine bei euch?»,

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