Die Meisterin der schwarzen Kunst
fragte ein junger Bursche, der von Kopf bis Fuß in Rot gekleidet war. Er klopfte auf einen flachen Lederbeutel, den er an einer Schnur um den Hals trug. «Wenn ihr nicht nachweisen könnt, dass ihr eine Herberge habt, lassen euch die Stadtwachen nicht durch.» Er grinste. «Zweimal im Jahr ziehen ganze Völkerscharen in die Stadt, aber die wenigsten interessieren sich für Bücher oder Druckschriften.» Er deutete auf eine üppig gebaute Frau mit dunkler Haut, die einem der Stadtwächter ins Turmhäuschen folgte.
«Warum darf die Frau rein?», nörgelte Barbara aufgebracht. «Vorhin stand die doch noch hinter uns. Sie hat sich vorgedrängt.»
Der rotgekleidete Knabe lachte und sah Henrika an, als wartete er nur darauf, dass sie ihm vorschlug, sich ebenfalls in einen dunklen Winkel zu verdrücken. «Wir brauchen keine Herbergsscheine», antwortete sie kühl. «Mein Meister ist ein bekannter Druckereibesitzer. Er hat Geschäftspartner in der Stadt, die für uns bürgen können.» Sie drehte sich um und richtete den Blick wieder auf das Stadttor. Allmählich setzte sich die Menge in Bewegung, und es ging etwas zügiger voran. Die meisten Menschen wurden durchgelassen, nur einige wandernde Gesellen, die aus Gegenden kamen, in denen die Pest wütete, wurden abgewiesen.
Als Henrika dem Torwächter Rede und Antwort stehen musste, gab sie genau die Auskunft, die Carolus ihr eingeschärft hatte. Mit einem höflichen Lächeln fragte sie nach dem Haus des Buchhändlers Johannes Theodor de Bry, der sie und die Reisenden ihrer Gruppe eingeladen hatte, während der Messe bei ihm zu wohnen. Der Torwächter kannte den Namen des Mannes und ließ sie und Barbara passieren.
«Können wir nicht gleich zu Onkel de Bry gehen?», fragte Barbara. Die Reise und das lange Anstehen auf der Torbrücke hatten das kleine Mädchen mehr Kräfte gekostet, als es zugeben mochte. Für heute hatte es kein Verlangen mehr, die fremde Stadt mit ihren hübschen, steil aufragenden Fachwerkhäusern und den hellerleuchteten Tavernen zu erkunden.
«Wir müssen auf deinen Vater warten», entschied Henrika. Trotz der Erklärungen des jungen Torwächters hatte sie keine Lust, sich in dem Gewirr von Straßen jenseits der Brücke zu verlaufen. Meister Carolus hatte nicht weit hinter ihr gestanden und musste jeden Moment auftauchen. Um Barbara etwas aufzumuntern, winkte Henrika eine Krämerin herbei und erstand einen klebrigen Nusskrapfen, den sie dem Kind lächelnd überreichte.
«Ich habe auch etwas für dich», sagte die Händlerin, während sie Henrikas Münze in ihren Kasten warf. Sie nahm ein Lederband von ihrem Hals, an dem ein zierlicher Engel aus gelblichem Wachs hing.
«Danke, aber ich brauche kein Amulett», lehnte Henrika höflich ab, doch die alte Händlerin ließ sich nicht beirren.
«Das ist kein gewöhnlicher Schutzzauber», behauptete sie beleidigt, «sondern ein Spiritus familiaris. » Sofort war Barbaras Neugier geweckt. Das Mädchen betrachtete sich den Wachsengel, während die Händlerin weiter auf Henrika einredete. Sie war klein, nur zwei Handbreit größer als Barbara. Um ihren Mund herum hatte sich die Haut entzündet und warf eitrige Blasen. Die grauen Augen der Alten blickten glasig. Sie schien sich nur mit Mühe auf den Beinen zu halten, war aber dennoch zum Stadttor geeilt, um ihre Gebäckstücke unter das hungrige Volk zu bringen, das zur Messe strömte.
«Was ist denn ein Spiritus …», wollte Barbara wissen.
«Nichts!» Henrika zückte ihren Beutel und entnahm eine weitere Münze, die sie der Krämerin zusteckte. «Hör zu, wir wollen mit deinem Aberglauben nichts zu tun haben, verstanden?»
Die Alte stieß ein meckerndes Gelächter aus. Ehe Henrika es verhindern konnte, legte sie Barbara das Band mit dem Wachsgebilde um den Hals.
«Ich habe es von einem Gaukler, und der bekam es aus der Hand eines Osmanen. Du musst es billiger weiterverkaufen, als du selbst es erstanden hast, Kindchen. Verstehst du? Zu einem niedrigeren Preis. Dann bringt es dir Glück und erfüllt Wünsche. Tust du es nicht, verfällst du dem Teufel, mein Täubchen.» Sie lachte noch einmal heiser auf und verschwand dann mit ihrem Kasten in der Menge.
«Was für eine komische Frau», sagte Barbara.
Es verging noch eine ganze Weile, bis sich Carolus, David und Laurenz zu Henrika und Barbara gesellten. Der Druckermeister war wütend, weil man ihn am Tor festgehalten und seine Habe durchsucht hatte.
«Zwei Gulden musste ich dem unverschämten Kerl in
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