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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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der Hand eines Übeltäters waren sie eine gefährliche Waffe, die ausreichte, um den Kopf eines wehrlosen Mädchens unter Wasser zu drücken.
    «In den Main gestoßen und anschließend in diese Kapelle geschleift.» Anklagend ließ der junge Mann die Flammen seiner Fackel über die hölzernen Stangen und den aufgewühlten Erdboden gleiten. Die Schuhe des Mädchens hatten Furchen im Boden hinterlassen, die tatsächlich Richtung Ufer führten. Ihr Peiniger musste einiges an Kraft und Zeit aufgewendet haben, um sie unbemerkt aus dem Wasser zu holen und anschließend in die Kapelle zu schleppen. Ein merkwürdiges Versteck, dachte Henrika. Es sah so aus, als habe es jemand darauf angelegt, dass man Barbara so rasch wie möglich fand.
    Plötzlich fuhr sie zusammen. Ungläubig betrachtete sie das bleiche, nur von einer Fackel beleuchtete Gesicht des Mädchens. Aus der Ferne war der Ruf eines Nachtvogels zu hören. Der drückende Geruch, der die Luft der Kapelle beherrschte, verflüchtigte sich, als ein heftiger Windstoß durch die breite Türöffnung drang.
    «Was hast du?», wollte David wissen.
    Henrika schloss die Augen, als ihre Fingerspitzen ein Flattern wahrnahmen. Es war kaum wahrnehmbar, ähnlich der Bewegung eines Marienkäfers, der über die Hand eines Menschen krabbelt. Aber es war da. Sie bildete es sich nicht ein, nein, sie spürte die Bewegung so deutlich, wie sie Davids verwunderte Stimme hörte.
    «Was ist los?», fragte nun auch Laurenz, als Henrika aufsprang, sich an den Kopf griff und einen Schritt zurücktaumelte. Sie stieß scharf die Luft aus und wischte sich die Tränen von den Wangen. «Holt Meister Carolus. Er soll sofort kommen. Beeilt Euch! Und verständigt den Stadtarzt oder wenigstens einen Baderchirurgen.»
    Laurenz zögerte, doch als er den drängenden Blick seines Bruders bemerkte, lief er los. Herr de Bry folgte ihm. Der alte Mann schien erleichtert, sich der Totenwache zu entziehen, auch wenn er nicht begriff, warum Henrika plötzlich so energisch nach einem Arzt verlangte. David war der Einzige, der zurückblieb. Als die Schritte seines Bruders verklungen waren, stellte er sich neben Henrika und blickte mit ausdruckslosem Gesicht in die dunkle Kapelle.
    «Was zum Teufel hast du vor?», entfuhr es dem Drucker, als Henrika die Hand des Mädchens ergriff. «Mein Gott, du willst sie doch nicht etwa …»
    Henrikas Augen blitzten auf, während sie die Kraft spürte, die durch ihren Körper floss. Sie wirkte belebend, ja beinahe tröstend. Sie hatte die Gabe verleugnet und sich dagegen gewehrt, aber hier ging es um ein Kind. Ihr war klar, dass sie ihr Leben riskierte, wenn sie David bleiben ließ. Er war nicht Barthel. Er konnte kein Verständnis für eine Gabe haben, die sie selbst stets als etwas Feindliches betrachtet hatte. Eine Kraft, die durch ein altes Lied heraufbeschworen wurde und über die sie so gut wie nichts wusste.
    Ich kann sie gesund machen. Ich kann sie heilen.
    Die Worte, längst verdrängt und vergessen, loderten plötzlich in ihrer Brust auf wie ein Meer aus gierigen gelben Flammen. Sie konnte es nicht aufhalten, weil sie die Worte herbeisehnte und nach ihnen rief. In diesem Moment bedeuteten sie alles für Henrika. Mehr als die Gazette, mehr als ihre Freunde, denn sie prophezeiten Erlösung.
    Wie von selbst kamen die ersten Worte über ihre Lippen. Anfangs waren sie noch leise wie ein Flüstern. Die undeutlich gemurmelten Worte klangen flehend, beinahe sehnsuchtsvoll, als äußerten sie die Bitte eines Wanderers um Einlass, der nach langem Marsch an die Tür einer Herberge klopft. Dann jedoch wurden sie lauter und entschlossener, trotzten dem Schicksal das Recht auf das Leben dieses Kindes ab.
    Fassungslos beobachtete David, wie Henrika nun eine Melodie anstimmte, die ihm eine Gänsehaut auf die Arme trieb. Nach dem Auffinden der kleinen Barbara hatte er nicht für möglich gehalten, dass ihn an diesem Abend noch etwas erschüttern konnte. Doch Henrikas Gesang ließ ihn von Grauen erfüllt zurückweichen, dabei wusste er nicht einmal, was ihn so verängstigte, denn die Melodie klang hübsch und war durchaus angenehm. Sie machte ihn schläfrig und zwang ihn doch zur Aufmerksamkeit. So blieb er einfach stehen und beobachtete mit wachsendem Grauen, wie Henrika das Kind in den Armen wiegte.
    Als Barbara plötzlich die Augen öffnete, stieß er einen entsetzten Schrei aus. «Was zur Hölle bist du?», flüsterte er mit bebenden Lippen. «Eine Hexe? Ich hätte niemals geglaubt,

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