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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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vor einzelnen Tischen, doch die meisten hatten sich angesichts der Flut von Eindrücken längst zurückgezogen.
    Als Henrika an der Kirche vorbeilief, war es bereits so dunkel geworden, dass sie aufpassen musste, nicht über lose Pflastersteine, zerbrochene Wagenspeichen oder Unrat zu stolpern. Eine Schar von Menschen eilte mit Fackeln in der Hand an ihr vorüber, und Henrika stockte, als sie vor dem Stand ihrer Freunde weitere Fackelträger erspähte. Irgendetwas musste geschehen sein, während sie sich mit dem Buchhändler unterhalten hatte. Sie raffte den Saum ihres Rockes, um schneller laufen zu können, und eilte auf das hell erleuchtete Haus zu, vor dem der Tisch der Straßburger stand. Inmitten einer Schar aufgeregt durcheinanderredender Menschen fand sie David, Carolus und dessen Freund, der wild gestikulierend auf den Messeaufseher einredete und dabei anklagend auf den Nachbarstand deutete.
    Carolus selbst war leichenblass. Er wirkte verzagt zwischen all den fremden Menschen. Mit besorgter Miene reichte ihm David einen Becher Wasser, doch der Druckermeister schüttelte nur müde den Kopf. Erst als sein Blick auf Henrika fiel, kam Leben in ihn. Energisch drängte er sich an David vorbei.
    «Wo ist sie?», fuhr er Henrika an. Wut und Angst verzerrten das für gewöhnlich so gutmütige Gesicht des Druckermeisters. «Du solltest auf sie aufpassen und sie nicht allein in der Stadt herumspazieren lassen.»
    Henrika erstarrte. Sie begriff auf Anhieb, dass er von Barbara sprach. Ihre Blicke hasteten zum Stand, als erwarte sie, das Mädchen dort vorzufinden. Sie hatte Carolus’ Tochter eingeschärft, sich nicht zu weit zu entfernen und keinesfalls die Buchgasse zu verlassen. Hilfesuchend sah sie David an. Er war doch dabei gewesen, als sie dem Mädchen erlaubt hatte, sich die benachbarten Tische anzuschauen. Doch der junge Drucker zuckte nur die Achseln. Ihm war anzusehen, dass er die Sorge seines Dienstherrn teilte, nicht zuletzt trieb sich während der Messe viel lichtscheues Gesindel in der Stadt herum. Aber natürlich traf David kein Vorwurf. Er war ein Mann, und es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, auf die Tochter des Meisters aufzupassen.
    «Barbara ist ein aufgewecktes Mädchen», versuchte Herr de Bry seinen Hausgast zu beruhigen. «Vermutlich ist sie so begeistert von alldem, was es hier zu sehen gibt, dass sie einfach die Zeit vergessen hat.»
    «Wir sollten nicht hier herumstehen und schwatzen, sondern uns auf die Suche nach dem Mädchen machen», vernahm Henrika plötzlich Laurenz’ Stimme. Der junge Druckermeister stand dicht neben ihr; auch er trug eine brennende Fackel, und der Schein des Feuers wärmte Henrikas ohnehin bereits glühende Wangen. Was er sagte, klang vernünftig.
    «Wir sprechen uns noch, Jungfer», schnauzte Carolus sie wütend an. Doch er ließ sie gehen, als de Bry ihm beruhigend den Arm um die Schulter legte und die ungeduldig wartenden Männer bat, sich auf die Suche zu begeben.
    Mit einem Nicken forderte Laurenz Henrika auf, sich ihm anzuschließen. Ohne zu zögern, folgte sie ihm, denn immerhin machte er ihr wegen Barbaras Verschwinden keine Vorwürfe. Auch wenn sie keinen Schimmer hatte, wo sie nach dem vermissten Kind suchen sollte, lief Henrika los. Die Aufregung schnürte ihr fast das Herz zusammen. Warum hatte sie nicht darauf bestanden, dass Barbara bei ihr und David blieb? Warum hatte sie ihr erlaubt, allein durch die Gassen zu streifen?
    Laurenz lief schnell, und Henrika hatte Mühe, ihn einzuholen. Auch er schien keine Ahnung zu haben, wo man ein aufgewecktes Mädchen in Barbaras Alter aufspürte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um sich mit gerunzelter Stirn umzuschauen. Mit seiner Fackel leuchtete er in düster aussehende Hofeinfahrten oder sprang behände einige Stufen einer Kellertreppe hinunter, um kurz darauf mit einem Ausdruck des Bedauerns wieder zu Henrika zurückzukehren.
    «Es tut mir übrigens leid, was in Straßburg geschehen ist», sagte er nach einer Weile mit einem entschuldigenden Lächeln. Die Gasse, in die sie gerade eingebogen waren, führte zwischen Fachwerkhäusern entlang und machte es ihnen fast unmöglich, nebeneinanderzugehen, so schmal war sie. Das Laub der Weinreben, die an den Fassaden wuchsen, raschelte leise im Abendwind. Henrika blieb stehen, weil ihr vom raschen Laufen die Seite stach. Doch trotz der zunehmenden Kälte wünschte sie sich im Augenblick nicht in das Haus ihrer Wirtsleute zurück. Sie konnte Carolus nicht unter die Augen

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