Die Meisterin der schwarzen Kunst
dass sie wirklich existieren, aber nun …» Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren wie die eines Fremden. Dann fing er an zu lachen. Unheimlich hallte es von den Mauern der Kapelle wider.
Henrika gab ihm Zeit, sich wieder zu fangen. Sie verstand, dass sie ihm jetzt nicht mit Ausflüchten oder fadenscheinigen Erklärungen kommen durfte. Ihr Leben lag von nun an nicht nur in Laurenz’ Hand, sondern auch in der seines Bruders. Behutsam strich sie dem Mädchen die blutverkrusteten Haare aus der Stirn und entfernte mit einem Zipfel ihres Rockes den Schmutz aus ihrem Gesicht. Sie hielt erst inne, als das Mädchen leise stöhnte.
«Hast du aus dem armen Kind eine Wiedergängerin gemacht, eine Tote, die nicht sterben darf?», schrie David. Anklagend deutete er auf die Wachspuppe, die Henrika zu Barbaras Füßen abgelegt hatte. Kein Wunder, dass er an schwarze Magie glaubte. Sie war erschöpft, und ihr Kopf fühlte sich so schwer an, als würde er jeden Moment platzen. «Sie war noch am Leben», sagte sie müde. «Ich habe es gleich gespürt, als ich ihr Handgelenk berührte. Glaub mir, David, keinem Menschen ist es gegeben, Tote zum Leben zu erwecken, aber manchmal schenkt uns Gott in seiner unendlichen Weisheit gewisse Kräfte, die helfen können, das Leben zu verlängern.»
«Gott oder der Teufel?»
Henrika schlug die Augen nieder, denn darauf hatte auch sie nie eine Antwort gefunden. Also begnügte sie sich damit, Barbara, deren Herz zwar stolpernd, aber immerhin kräftig schlug, noch einen liebevollen Blick zu schenken, bevor sie ins Freie hinaustrat. Von fern waren bereits aufgeregte Stimmen zu hören, und die Lichter von Laternen und Fackeln drangen durch die Finsternis der Nacht. Laurenz und de Bry schienen die ganze Stadt geweckt zu haben. Henrika glaubte sogar das Schluchzen ihres Meisters zu vernehmen.
Während sie den Näherkommenden entgegenblickte, ging David in die Kapelle zurück, nahm das Mädchen auf den Arm und trug es an Henrika vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Zustand des Mädchens gab noch immer Anlass zur Besorgnis; obwohl die Kopfwunde nicht mehr blutete, war sie so schwach, dass sie die Augen kaum offen halten konnte. Wer konnte schon wissen, wie lange sie im kalten Wasser verzweifelt um ihr Leben gekämpft hatte? Was sie nun brauchte, waren warme Decken und einen Arzt, der ihre Wunden behandelte.
«Carolus wird froh sein, dass er seine Tochter nicht verloren hat», sagte Henrika. Sie dachte nach. «Aber er wird nicht ruhen, bis der Mann gefunden wurde, der ihr das angetan hat.»
«Weiß der Meister Bescheid über dein …?» David sprach nicht weiter, weil er dem, was er gesehen und gehört hatte, keinen Namen zu geben vermochte. Henrika konnte sich denken, dass Teufelskram oder Hexenwerk vermutlich noch die mildesten Ausdrücke waren, die ihm einfielen. Erschöpft zuckte sie die Achseln; trotz der Freude darüber, dass sie Barbara hatte helfen können, kam sie sich verloren vor.
Verurteilt und verdammt wie einst ihre Mutter.
«Ich werde nicht darüber reden», entschied David unvermittelt. Als Henrika etwas sagen wollte, hob er die Hand, um sie daran zu hindern.
«Wenn das Mädchen noch am Leben war, und daran möchte ich glauben, hast du sie mit deinem Gesang aus tiefer Bewusstlosigkeit geholt. Außerdem konnte ich mich bislang auch auf dein Schweigen bezüglich des Geldes verlassen, das ich zur Rettung der Gazette geliehen habe. Aber das ist der letzte Gefallen, den ich dir erweisen werde, und ich tue es nur, weil ich vermute, dass wir in absehbarer Zeit miteinander verschwägert sein werden.»
Henrika atmete auf. David mochte wütend auf sie sein, aber er war kein Heißsporn wie sein Bruder. Er war auch kein Erpresser, der aus dem Wissen über andere Vorteile zu ziehen versuchte. Wenn er sagte, er würde schweigen, dann war sie in Sicherheit. Vorerst. Doch das half ihr bei ihrem Problem mit Laurenz nicht weiter. Er würde nach wie vor Druck auf sie ausüben, und David hing viel zu sehr an seinem Bruder, um ihr zu glauben.
Wie betäubt beobachtete sie, wie David die kleine Barbara zu ihrem Vater und einem Mann trug, dessen langer roter Mantel ihn als den Stadtarzt von Frankfurt auswies. Die aufgeregten Rufe, die stadteinwärts erklangen, nahm sie zuerst gar nicht wahr. Erst als sich David mit geballten Fäusten zu ihr umdrehte, begriff sie, dass noch etwas geschehen sein musste.
«Wie es aussieht, hat man den Kerl geschnappt», rief er ihr zu und
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