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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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adeliger Herkunft ist und sich vermutlich jede Aussage kaufen kann, die glaubhaft klingt. Der Mann, den Laurenz in Frankfurt erschlagen hat, war übrigens Barthels ehemaliger Pferdeknecht, der nach seinem Tod in die Dienste seiner Nichte trat. Ich weiß, das alles muss sich furchtbar verwirrend anhören, aber es ist die Wahrheit, und es ist schön, dass ich endlich einmal mit jemandem darüber reden kann.»
    Lene nickte. «Ich bin auch froh darüber. Zumal du bislang keinen Grund hattest, dich ausgerechnet mir anzuvertrauen. Gibt es denn keinen Menschen, der deine Worte bezeugen oder dich entlasten kann?»
    Henrika dachte kurz nach, schüttelte dann aber niedergeschlagen den Kopf. «Die Frau, bei der ich aufgewachsen bin, hat mir geglaubt, aber ich möchte sie nicht in Gefahr bringen, indem ich ihr schreibe. Barthels Nichte würde es erfahren.»
    «Dann rede wenigstens mit dem jungen Ratsherrn Zorn», schlug die Meisterin vor.
    «Wieso ausgerechnet mit Zorn? Er ist ein merkwürdiger Kauz. Am Tag nach unserer Rückkehr aus Frankfurt kam er in die Werkstatt und gab vor, die Kurierreiter begrüßen zu wollen. Hat nicht Euer Gemahl immer davor gewarnt, sich mit den Zorns einzulassen?»
    «Inzwischen scheint er seine Meinung zumindest ansatzweise geändert zu haben. Der alte Ratsherr Waldemar ist ein verdrießlicher Widerling, den nur die Aussicht auf einen Streit mit seinen Verwandten am Leben hält. Aber der junge Ratsherr Jeremias ist vernünftig. Er müht sich ab, um Straßburg wieder zu dem Einfluss im Reich zu verhelfen, den die Stadt noch zu Lebzeiten meines Großvaters besaß. Ich bin sicher, dass er dir helfen könnte, den Verdacht gegen dich zu zerstreuen. Zorn ist nicht nur begütert, er hat auch die besten Verbindungen. Und er hält große Stücke auf die Relation. Niemals würde er es zulassen, dass jemand das Werk, für das er sich im Rat persönlich eingesetzt hat, in den Schmutz zieht. Da du für Carolus unentbehrlich geworden bist, wird er für dich tun, was in seiner Macht steht. Er kann Auskünfte einholen und auch die Frau befragen lassen, bei der du gelebt hast, bevor du in Barthels Dienste tratst. Bestätigt sie deine Aussage, brauchst du dich nicht mehr vor seiner Nichte und ihren Verleumdungen zu verstecken. Außerdem kennt Ratsherr Zorn auch den Flamen.»
    Henrika blickte überrascht auf. «Aber woher wisst Ihr das schon wieder?»
    «Oh, es hat durchaus seine Vorteile, wenn man im eigenen Haus wie Luft behandelt wird», antwortete die Meisterin lachend. «Luft ist stets da, aber niemand sieht sie.»
    Wie als Antwort auf Lenes Bemerkung fiel die Tür, die Buchbinderei und Werkstatt miteinander verband, zu. Erschrocken wirbelte Henrika auf dem Absatz herum, doch außer ihnen war niemand im Raum. Dafür nahm sie leise Schritte auf der Steintreppe wahr, die hinauf zur Kruggasse führte. Dumpfe Schritte, die sich eilig entfernten. Sie waren belauscht worden.
    Lene rieb sich fröstelnd über beide Oberarme. Sie wirkte wieder völlig verschreckt. «Ob jemand gehört hat, worüber wir gesprochen haben?»
    Henrika lief hinüber zur Tür, öffnete sie und spähte in die Dunkelheit hinaus. Ein seltsamer Geruch stieg ihr in die Nase, aber sonst war nichts zu entdecken. Langsam wandte sie sich um und kehrte zu der Meisterin zurück, die auf sie gewartet hatte.
    «Ich glaube, ich sollte den Besuch im Haus des Ratsherrn nicht länger aufschieben», sagte Henrika. Sie begab sich wieder an ihren Arbeitsplatz, doch anstatt sich auf ihren hohen Stuhl zu setzen, klappte sie das Nachrichtenbuch zu und legte die Berichte, die sie bereits geschrieben hatte, in eine Lade. Anschließend schloss sie das Buch in den wuchtigen Materialschrank ein und löschte die Lampe. Ihren Schlüssel übergab sie Lene.
    «Mach kein Gesicht, als würdest du aufs Schafott geführt», mahnte die Meisterin kopfschüttelnd. «Du wirst sehen, Zorn wird dir helfen.»

    Auf ihr Klopfen hin öffnete ein Diener Henrika die Tür und ließ sie eintreten. Er schien nicht verwundert, dass ein junges Mädchen vorsprach und nach seinem Herrn fragte. Mit einer höflichen Handbewegung bat er Henrika, ihm die Treppe hinauf zu folgen.
    Jeremias Zorn saß lesend in einem geschmackvoll eingerichteten Gemach, dessen riesige Bücherregale an drei Wänden bis zur Decke reichten. An der vierten Wand befand sich ein mit Jagdmotiven geschmückter Kamin und davor eine lange Tafel aus Eichenholz, auf der ein Leuchter aus getriebenem Silber stand. Breite Wandteppiche

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