Die Meisterin der schwarzen Kunst
Ausbruch des Ratsherrn irritierte sie. Meinte der Ratsherr vielleicht auch sie mit seiner düsteren Drohung? Noch hatte er sich nicht geäußert, ob er gewillt war, Nachforschungen in ihrem Fall anzustellen.
«Wenn ich Euch richtig verstanden habe, glaubt Ihr also, dass die Nichte Eures früheren Dienstherrn Euch in böswilliger Absicht nachstellt», sagte Zorn nach einigen Momenten des Schweigens.
«Ich bin davon überzeugt.»
«Aber was will sie von Euch? Geld? Rache? Angenommen, sie glaubt, dass Ihr für den Tod des Festungsbaumeisters verantwortlich seid …»
«Aber nein», brauste Henrika auf. «Ich habe ihn gefunden, nicht getötet. Schon gar nicht, weil ich etwas von ihm haben wollte. Ich meine … Ich habe nie Geld von ihm verlangt.»
«Wie erfrischend», spottete der Ratsherr. «Verzeiht, wenn ein Mitglied der Familie Zorn dafür kein Verständnis aufbringen kann. Aber Spaß beiseite, Jungfer. Besteht denn nicht doch die Möglichkeit, dass Euer Vormund Euch etwas hinterlassen hat? Er war doch gewiss ein wohlhabender Mann.»
«Von einer Erbschaft war aber nie die Rede, es sei denn …» Sie stockte, weil ihr ein Gedanke kam. Möglicherweise hatte Barthel vorgehabt, sein Schweigen zu brechen und ihr anzuvertrauen, was er über ihre Mutter wusste. Aber welchen Grund hätte ausgerechnet Anna haben können, ihn daran zu hindern?
«Ihr kennt Quinten Marx», wechselte sie unvermittelt das Thema. «Ein Flame, nicht wahr? Er hielt sich vor einiger Zeit hier in Straßburg auf, aber als ich ihn sprechen wollte, wurde ich abgewiesen.»
Jeremias Zorn sprang von seinem Stuhl auf. «Was zum Teufel wisst Ihr über den Flamen?»
Henrika beschloss, sich nicht in die Rolle des gejagten Hasen drängen zu lassen, wenngleich Zorn sie anfunkelte wie ein Wolf seine Beute.
«Mein früherer Dienstherr hat ihm mehrmals geschrieben. Ich fand die Briefe nach seinem Tod. In einem von ihnen erwähnte er auch meinen Namen, daher …»
Doch Zorn unterbrach sie. «Schon gut, Jungfer», sagte er. «Bitte folgt mir nun, ich werde Euch an einen Ort bringen, an dem ich Eure Fragen beantworten kann.»
Er führte Henrika hinab in die weitläufigen Kellerräume des Hauses. Dabei musste sie sich beeilen, so schnell schritt er aus. Beklommen sah sie sich um. Was mochte er ihr wohl hier unten zeigen wollen? Sie durchquerten ein geräumiges Gelass mit Nischen, in denen eine stattliche Anzahl Weinfässer sowie Ölkrüge und Kisten mit Handelsware standen. Von fern war ein leises Plätschern zu hören, das auf einen Hausbrunnen oder eine Zisterne hindeutete, doch Henrika konnte nicht ausmachen, wo sich diese befand.
Schließlich blieb der Ratsherr vor einer Tür stehen, öffnete sie und winkte Henrika herbei. «Na los, ziert Euch nicht, sondern tretet ein!»
«Darauf könnt Ihr lange warten.» Henrika verschränkte die Arme. «Ich werde mich nicht von der Stelle rühren, bevor Ihr mir sagt, was das zu bedeuten hat.»
Zorn gab einen grollenden Laut von sich. Ohne Vorwarnung packte er Henrika und zog sie unsanft in den Kellerraum, ohne dass sie sich wehren konnte. Sie stolperte, versuchte sich im Fallen abzustützen, konnte jedoch nicht verhindern, dass sie mit dem Knie auf die Steinplatten schlug. Schmerz und Ärger trieben ihr die Tränen ins Gesicht, doch noch wütender war sie auf sich selbst, als sie erkannte, dass der Ratsherr sie hintergangen hatte. Sie rappelte sich auf, stürzte zum Eingang, sah jedoch nur noch, wie Zorn ihr die Tür vor der Nase zuschlug und den Riegel vorlegte.
Sie saß in der Falle.
«Ihr doppelzüngiger Lügner», schrie sie. «Wie konnte ich nur so dumm sein, einem Zorn zu vertrauen? Lasst mich auf der Stelle raus hier. Hilfe!»
«Schreit, so viel Ihr wollt», drang die Stimme des Ratsherrn dumpf durch die Tür. «Aber ich sage Euch gleich: Hier unten hört Euch keine Menschenseele, also spart Eure Kräfte und vertraut mir. Es ist nur zu Eurem Besten. Ihr werdet in der Kammer Decken gegen die Kälte finden. Außerdem einen Topf mit trockenem Fleisch, Brot und ein paar Winterfrüchte. Das sollte fürs Erste genügen. Eine Lampe werde ich Euch später an das kleine Fenster stellen lassen. Seht Ihr es? Es befindet sich gleich gegenüber der Tür. Wollt Ihr auch ein reformiertes Gebetbuch?»
Henrika stampfte mit dem Fuß auf, was ihrem geschundenen Knie nicht gerade guttat. Als sie den Blick senkte, fand sie einen schwachen Lichtschein, der unter dem Türspalt in die Kammer fiel. Im benachbarten Weinkeller
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