Die Meisterin der schwarzen Kunst
Steinblock gelangte. Er musste dafür sorgen, dass die sterblichen Überreste des Reiters nicht so bald gefunden wurden. Auch um das Pferd des Mannes, das noch immer unten am Wegesrand stand, musste er sich wohl oder übel kümmern. Er durfte es nicht behalten, auch wenn es ein stattliches Ross war.
Zunächst faltete er dem Toten die Hände, dann goss er Öl aus der Laterne über ihn. Schließlich raffte er so viel trockenes Holz, Gras und Strauchwerk zusammen, wie er tragen konnte, und bedeckte den Körper des Kuriers damit.
Wenige Minuten später loderte auf der Lichtung ein Feuer auf; Laurenz sah aus sicherer Entfernung zu, wie die Flammen den Leichnam des Kuriers verzehrten.
Nun wird Carolus mich nach Flandern schicken müssen, dachte er, während er das Felleisen mit der wertvollen Botschaft des Reiters zusammen mit dessen übriger Habe auf den Scheiterhaufen schleuderte.
18. Kapitel
Henrika saß noch spät am Abend in der kleinen Schreibstube neben der Druckerei und brütete über den Berichten der vier Kuriere. Neben ihr stand ein Teller mit Buchweizengrütze, die längst kalt geworden war.
Während der vergangenen Stunden hatte Henrika das Nachrichtenbuch gründlich durchgearbeitet und einen Artikel für die Gazette geschrieben, die in Kürze gedruckt werden sollte. Sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie nur flüchtig aufschaute, als die Tür geöffnet wurde. Am Eingang stand Lene, Meister Carolus’ Frau. Sie trug bereits ihr Nachtgewand und hielt eine Kerze in der Hand.
«Gut, dass ich dich allein antreffe», sagte die Frau scheu. Lautlos huschte sie heran. «Ich wollte dir danken. Du hast meiner kleinen Barbara geholfen, das werde ich dir nie vergessen.»
Henrika säuberte die Schreibfeder mit einem Tuch und legte sie zur Seite. Dann stand sie auf, um die Frau ihres Meisters zu begrüßen. Im Schein der Kerze wirkte Lenes Haut fast durchsichtig. Ihr Haar, das für gewöhnlich unter einer gerüschten Haube steckte, fiel ihr über die Schultern.
Henrika wunderte sich, dass Lene sie zu dieser späten Stunde noch aufsuchte. Für gewöhnlich setzte sie keinen Fuß in die Werkstatt ihres Mannes. Nicht einmal die Mahlzeiten nahm sie gemeinsam mit dem Hausherrn und dessen Gesinde ein, sondern zog es vor, in Barbaras kleiner Kammer unter dem Dach zu speisen. Carolus machte seiner Frau keine Vorwürfe, weil sie ihre Pflichten im Haus vernachlässigte, denn er wusste, dass das Mädchen noch immer schwach war und Pflege benötigte.
Umso größer war Henrikas Überraschung, als die Meisterin sich neugierig in der Werkstatt umschaute. Vorsichtig berührte sie die Hebel der Druckerpresse und strich dann beinahe zärtlich über die Matrizen aus Kupfer, als sähe sie das Handwerkszeug ihres Mannes zum ersten Mal.
«Ihr braucht mir nicht zu danken», sagte Henrika. Sie war verlegen, wusste nicht recht, was sie mit Lene reden sollte, denn bislang waren die beiden Frauen einander eher aus dem Weg gegangen. «Ich habe nichts getan, wofür man mich loben müsste. Dass Barbara mit dem Leben davongekommen ist, war allein Gottes Wille.»
Lene Carolus lächelte abwesend. «Ja, natürlich, mein Mann hat dasselbe gesagt. Aber ich fühle, dass die Sache böse ausgegangen wäre, wenn du nicht eingegriffen hättest.» Sie dachte kurz nach, ehe sie hinzufügte: «Carolus hat mir verboten, über meine Eingebungen zu reden. Er möchte, dass ich in meiner Kammer bleibe, damit niemand merkt, dass ich … gewisse Dinge sehe. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich arbeite zum Beispiel in der Küche, schaue nichtsahnend ins Herdfeuer und weiß plötzlich mit Bestimmtheit, dass jemand, den ich einst gut kannte, gestorben ist. Ein anderes Mal schüttle ich die Federbetten oder sitze hinter dem Spinnrad und sehe ein Unwetter heraufziehen, lange bevor es die Stadt erreicht. Carolus weiß das, aber er …» Sie hob hilflos die Schultern. «Er ist der Sohn eines Pfarrers. Sein Leitsatz lautet: So du im Glauben Gott erkennst, …»
«… so kann dir schaden kein Gespenst», ergänzte Henrika. Sie fühlte sich geschmeichelt, weil die Frau des Meisters ihr so unerwartet Vertrauen schenkte, fragte sich aber gleichzeitig, ob Lene im Gegenzug nicht etwas Bestimmtes von ihr zu erfahren hoffte.
Ob sie meine Gabe auch spüren kann, überlegte sie erschrocken. Sie sah, wie die Meisterin sie einen Moment lang mit einem durchdringenden Blick musterte, bevor sie sich dem Tisch mit dem Nachrichtenbuch
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