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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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zuwandte.
    «Carolus hat mir erzählt, mit welchem Eifer du um die Gazette bemüht bist», sagte Lene. «Vermutlich gibt es außer dir kein Mädchen in ganz Straßburg, das sich für das Druckerhandwerk und das Avisenschreiben interessiert.»
    «Wenn ich Avisen schreibe, denke ich daran, wie groß die Welt und wie klein und unbedeutend ich selbst bin. Das spendet mir oftmals Trost.»
    «Brauchst du denn Trost? Ich dachte, du bist glücklich bei uns.»
    Henrika schlug die Augen nieder. Ihr kam es so vor, als bohrte sich der Blick der Meisterin tief in ihre Gedanken und wirbelte sie auf wie einen Haufen trockenes Laub. «Natürlich bin ich glücklich. Wenn Euer Mann mich nicht in seine Dienste genommen hätte, wäre es mir übel ergangen.»
    Lene sah sie forschend an. «Du meinst, weil der Mann, dem du früher dientest, ermordet wurde? Der arme Barthel. Gott sei seiner Seele gnädig. Ich mochte ihn.»
    «Ihr habt ihn gekannt?», entfuhr es Henrika, bevor ihr klar wurde, wie töricht diese Frage war. Barthel und Carolus waren befreundet gewesen, daher lag es auf der Hand, dass auch die Frau des Druckers sich an ihn erinnerte.
    Die Meisterin stellte ihre Kerze auf Henrikas Tisch ab. Die große Tafel, die David an der sauber gekalkten Wand hatte anbringen lassen, schien ihr Interesse zu wecken. Fragend drehte sie sich zu Henrika um. «Was ist das?»
    Henrika erklärte es ihr. Die Tafel bestand aus einer massiven runden Eichenplatte, die wie die Spundöffnung eines Weinfasses aussah. In ihre Vertiefungen waren fünf mittelgroße Fächer eingelassen worden, die mit hübschen Schnitzereien verziert waren und verschiedene Farben trugen. Über jedem Fach stand der Name einer Stadt.
    «In den Fächern, die Ihr seht, verwahren wir alle Meldungen, Berichte und Briefe, die uns aus den jeweiligen Handelsstädten erreichen», erklärte Henrika bereitwillig. «Meine Aufgabe ist es, die Nachrichten zu studieren, miteinander zu vergleichen und dann auf Abweichungen vom offiziellen Bericht unserer Kurierreiter zu untersuchen. Anschließend ordne ich die Papiere, schreibe die Meldungen ab und versehe sie mit unserem Zeichen, dem geflügelten Götterboten Hermes. Nur eine Schrift, die dieses Zeichen trägt, darf auf den Tisch der Setzer gelegt werden. Nachdem sie einmal zur Probe gedruckt wurde, bringt mir David oder der Lehrjunge ein Exemplar des Blattes. Ich lese es ein weiteres Mal durch, bevor die gewünschte Anzahl von Blättern gedruckt und an den Krämer Adam geliefert wird.»
    Lene nickte, wobei sie wie gebannt auf eines der Kästchen in der Holzplatte starrte. Es war leer.
    «Wir haben noch keine Nachricht von dem Kurier aus Antwerpen», sagte Henrika mit bekümmerter Miene.
    «Das sehe ich.» Die Meisterin schüttelte den Kopf. «Es wird auch keine Nachricht kommen. Ihr braucht nicht mehr auf den Mann zu warten.»
    «Aber der Kurier wurde uns als überaus zuverlässig beschrieben. Euer Gemahl hat ihn eingestellt, weil er vom jungen Ratsherrn Zorn persönlich empfohlen wurde.»
    Lene Carolus räusperte sich. «Nun habe ich dir Angst gemacht, das wollte ich nicht. Hör mir gar nicht zu und vergiss besser, was ich dahergeredet habe. Carolus hat recht, wenn er behauptet, dass ich am helllichten Tag träume. Das gehört sich nicht für die Frau eines ehrbaren Handwerksmeisters. Wie oft habe ich mir auf den eisigen Platten des Münsters schon die Knie wund gebetet, um von diesem Fluch erlöst zu werden.»
    Henrika sah sie verwirrt an. Ihr war, als hörte sie sich selbst sprechen, denn auch sie hatte stets nach Entschuldigungen gesucht, um ihre Gabe herunterzuspielen. Sie war überzeugt davon, dass die Meisterin etwas gesehen hatte, als sie das leere Kästchen an der Wand betrachtet hatte. Henrika nahm Lenes Hand und drückte sie. «Ich möchte Euch nicht länger etwas vormachen, Meisterin.»
    Lene lächelte. «Das kannst du auch nicht, Henrika, glaube mir. Niemand kann das. Ich habe längst herausgefunden, dass wir beide aus ähnlichem Holz geschnitzt sind. Nicht, was unser Wesen betrifft, da unterscheiden wir uns sehr. Du bist, trotz allem, was du bislang erdulden musstest, stark und selbstbewusst geblieben. Du hast es geschafft, von den Männern hier in der Druckerei akzeptiert zu werden, was ich mir nicht leicht vorstelle. Sie nehmen dich ernst, hören auf das, was du sagst, und mögen dich dennoch gut leiden, weil du freundlich zu ihnen bist. Von mir würden sie nicht einmal Notiz nehmen, wenn ich auf einem Pfingstochsen durch die

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