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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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der Magen knurrte. Sie nahm eine Pastete und biss herzhaft hinein. Entgegen ihrer Befürchtung hatte Jeremias Zorn offenbar nicht vor, sie verhungern zu lassen. Sie fragte sich, was Meister Carolus und David wohl inzwischen taten. Ob sie die Stadt nach ihr absuchten? Hatte Lene Carolus ihnen etwas gesagt, oder schwieg sie? Ein Schluchzen entwich Henrikas Kehle, als sie an ihren gemütlichen Platz in der Druckerwerkstatt dachte. Längst mussten die Kuriere wieder unterwegs sein, um neue Nachrichten einzukaufen, aber ob sie diese jemals zu Gesicht bekam, war fraglich.
    Als sie am nächsten Tag aus dem Schlaf hochfuhr, erlebte sie eine Überraschung. Neben dem wiederum gefüllten Proviantkorb lag eine sorgfältig verschnürte Anzahl eng beschriebener Druckschriften. Mit klopfendem Herzen löste Henrika den Knoten und lief dann mit den Seiten zum Fenster. Es war eine Ausgabe der Relation , wie die prächtig gestaltete Titelseite unschwer erkennen ließ.
    Henrika vertiefte sich in die Zeilen, die sie selbst nach den Meldungen der Kuriere verfasst hatte. Aus Venedig wurde vom Anstieg der Preise für Wolle und Seidenstoffe berichtet, ferner von einem tapferen Vorstoß der Flotte von San Marco, die ein osmanisches Kaperschiff aufgebracht hatte. In Rom hatte ein Italiener ein Rohr erfunden, das die Sterne am Himmel angeblich größer erscheinen ließ.
    Henrika blätterte weiter, bis sie auf die Nachrichten aus Köln und Wien stieß. Der Herzog von Kleve war gestorben, was Anlass zu der Befürchtung gab, dass es zwischen den benachbarten Fürstentümern zum Kampf um seine Besitzungen kommen könnte. Auf der nächsten Seite ganz unten rief Herzog Maximilian von Bayern alle Fürsten und Reichsstädte auf, die dem römisch-katholischen Glauben treu geblieben waren, sich mit ihm zu verbünden.
    Aus der Handelsstadt Antwerpen gab es keine Nachricht.

    Drei Tage, nachdem Henrika die Gazette erhalten hatte, hörte sie eines Abends ein Geräusch auf der anderen Seite der Tür. Offensichtlich machte sich jemand am Riegel zu schaffen. Sie hob den Kopf und erstarrte, als sich eine dunkel gekleidete Gestalt leichtfüßig in die Kammer schob.
    Es war ein Mann, der eine Laterne vor sich hielt und die kahlen, grauen Wände des Raums ableuchtete. Das Licht blendete Henrika so sehr, dass sie die Augen schloss und in den Schatten des Lagers zurückwich, das sie sich aus Decken gerichtet hatte.
    «Steh auf», flüsterte der Mann ihr mit rauer Stimme zu. «Wir müssen auf der Stelle verschwinden.»
    Henrika blinzelte verwirrt, denn noch immer tat das Licht ihren Augen weh. Die Stimme kam ihr indessen bekannt vor, auch wenn sie nicht begriff, was der Mann hier unten zu suchen hatte.
    «David?», rief sie zögerlich. «Bist du es?»
    «Natürlich, wer sonst? Ich habe Tage gebraucht, um dich hier aufzuspüren.»
    Also ein neuer Fluchtversuch, dachte Henrika. Müde strich sie eine Strähne ihres verfilzten Haars hinter das Ohr. Zorns Diener hatte sie zwar während der letzten Tage mit Nahrungsmitteln versorgt, doch an Wasser zum Waschen hatte er nicht gedacht. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und sich eingebildet, David sei ihr lediglich im Traum erschienen.
    «Wo steckt Ratsherr Zorn?», murmelte sie mit schwacher Stimme. «Warum schickt er ausgerechnet dich, um mich …» Sie zog ihren Zeigefinger quer über die Kehle, um einen Schnitt anzudeuten.
    «Zorn ist bereits seit dem Morgengrauen im Rathaus. Er und die übrigen Ratsherren beraten sich mit dem Stadtvogt und den Gerichtsschöffen.» Er hustete leise. «Nicht weit von der Stadt wurde ein verkohlter Leichnam gefunden. Auf einer Waldlichtung, oberhalb des Wegs, der vom Gewann der sieben Herrgottsacker zur Stadtbrücke führt. Der Hund eines Schäfers hat ihn aufgestöbert. In der Stadt geht das Gerücht um, der Teufel habe einen armen Wanderer geholt, aber wir beide wissen es besser, nicht wahr? Auf die Nachrichten aus Flandern werden wir wohl noch lange warten müssen. Laurenz hat sich persönlich nach Antwerpen aufgemacht. Angeblich, um den vermissten Kurier zu suchen. Carolus hat ihn freigestellt und ihm Geld gegeben, damit er sich ein schnelles Pferd kaufen kann.»
    Henrika öffnete die Augen. «Warum erzählst du mir das?»
    «Weil du aus Straßburg fliehen musst und ich mit dir gehen werde. Genauer gesagt hat Ratsherr Zorn mir persönlich aufgetragen, dich zu begleiten. Er bangt um die Gazette, weil einige Tratschmäuler im Rat, darunter sein Verwandter Waldemar Zorn,

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