Die Meisterin der schwarzen Kunst
Pferdes, verspürte sie Freiheit und eine unbändige Lust zu leben.
David holte auf. Als sie sich kurz nach ihm umdrehte, sah sie ihn aufrecht im Sattel wie ein Dragoner. Er trug eine aufgebauschte grüne Schärpe, sein Hut war mit bunten Federn geschmückt, die seinem blassen Gesicht einen verwegenen Ausdruck verliehen.
Eine ganze Weile ritten sie hintereinander her, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Plötzlich bemerkte Henrika, dass sich über ihnen die Wolken zusammengeschoben hatten. Der Wind wurde stärker, entwickelte sich fast zu einem Sturm, der die Blätter der Bäume am Wegesrand zum Murmeln, dann zum Rauschen brachte.
Nachdem der erste Donnerschlag ertönt war, erfasste eine sonderbare Stille den Wald. Kein Tier, nicht einmal ein Vogel, sprang noch raschelnd durchs Unterholz.
Henrika zog die Zügel an und ließ sich vom Rücken des Pferdes gleiten, was nicht schwer war, da sie kein Kleid, sondern Männerhosen trug.
Ein weiterer Donnerschlag ließ sie zusammenzucken. Sie blickte sich nach David um, doch der schien plötzlich mitsamt seinem Pferd vom Erdboden verschlungen zu sein. Unsicher lief sie den Weg zurück, den sie gekommen war. Hinter jeder Biegung hoffte sie, den jungen Drucker zu finden. Aber er blieb verschollen, nicht einmal Hufspuren schien sein Ross hinterlassen zu haben. Es war, als hätte es ihn nie gegeben, als hätte sich Henrika alles nur eingebildet.
Plötzlich stieg ihr ein beißender Rauch in ihre Nase. Henrika schauderte, doch sie durfte nicht zurückweichen, sie musste herausfinden, wo David steckte und woher der Qualm kam. Mit Händen und Füßen schlug sie sich durch das immer tiefer werdende Dickicht, das den Weg auf einmal zu überwuchern drohte. Aber wie konnte das möglich sein?
Die Donnerschläge wurden lauter; grelle Blitze erschienen am Nachthimmel. Auch der Rauch wurde zunehmend dichter, er reizte Henrika so stark im Hals, dass sie husten musste. Weiter ging es, Schritt um Schritt durch das raschelnde Unterholz; ihre Haut wurde von Dornenranken zerkratzt, die in ihren Kleidern und Haaren hängen blieben.
Und dann stand sie unvermittelt auf einer Lichtung, keine zehn Schritte von einem Fachwerkhaus entfernt, das sie kannte wie kaum ein anderes, weil sie in ihm so viele Stunden ihrer Kindheit verbracht hatte. Es war Elisabeths Wirtshaus in Mannheim.
Und es brannte lichterloh.
Henrika wurde von grenzenlosem Entsetzen gepackt. Ohne zu zögern, rannte sie los, geradewegs auf das brennende Gebäude zu, aus dem schrille Hilfeschreie drangen. Doch schon nach wenigen Schritten prallte sie gegen eine Wand aus heißer Glut, die ihr das Gesicht versengte. Übelkeit schnürte ihr die Kehle zu, als ihr klar wurde, dass jede Hilfe zu spät kam. Stöhnend sank sie auf die Knie. In diesem Moment teilte der Wind die Rauchschleier vor ihr wie einen Vorhang.
Vor dem Haus lag ein bis zur Unkenntlichkeit verkohlter Leichnam, der sie aus leeren Augenhöhlen anklagend anzustarren schien.
Stöhnend fuhr Henrika von ihrem Kissen auf; mit zitternden Fingern strich sie sich das Haar aus der Stirn; es war nass vor Schweiß.
Die Waldlichtung war plötzlich verschwunden, das brennende Haus auch. Wie war das möglich?
Benommen blickte sie sich um, bis sie den schwachen Schein einer Bootslaterne bemerkte. Erst allmählich kehrte die Erinnerung zurück. Sie und David waren seit gestern an Bord eines schwankenden Lastkahns, dessen schlanker Bug die Wellen des Rheins durchpflügte.
David warf ihr einen besorgten Blick zu. «Du hast geträumt», sagte er leise. «Kein angenehmer Traum, wie ich vermute.»
Henrika seufzte, während sie sich mit einem Zipfel ihres warmen Schultertuches Schweißperlen von der Stirn tupfte. Ihre Glieder und Gelenke fühlten sich taub an und schmerzten bei jeder Bewegung. Das Geschaukel des Kahns brachte zudem ihren Magen völlig durcheinander. Seit gestern weigerte sie sich, etwas anderes zu sich zu nehmen als Wasser und ein paar Bissen Brot.
«Wo sind wir?», wollte sie von David wissen.
«Wenn alles gutgeht, werden wir bald Köln erreichen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Grenze.»
Henrika lehnte sich zurück und beobachtete die Männer, die ein Stück von ihnen entfernt beisammensaßen und den Weinkrug kreisen ließen. Sie musste daran denken, dass ihre letzte Reise auf einem Rheinkahn noch gar nicht lange zurücklag. Wie sehr hatte sie sich damals auf Frankfurt und die berühmte Messe der tausend Bücher gefreut, und wie übel war der Familie
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